Zwischen Reportage und Roman, aber ohne innere Kraft, ohne emotionales Zentrum

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Isabel Allende versteht es wie kaum eine andere Autorin, Geschichte und Schicksale miteinander zu verweben. Auch „Mein Name ist Emilia del Valle“ ist in dieser Tradition angelegt: Wir begleiten Emilia von ihrer Kindheit im ärmlichen San Francisco über ihre ersten schriftstellerischen Gehversuche bis hin zu ihrer Arbeit als Reporterin im Chile des ausbrechenden Bürgerkriegs. Auf dem Papier klingt das nach einem großen, mitreißenden Roman über die Emanzipation einer Frau, die sich gegen Konventionen stellt und für ihre Stimme kämpft.
Und tatsächlich bietet Allende hier thematisch vieles: eine Frau, die schon früh gegen die gesellschaftlichen Erwartungen aufbegehrt, die unter männlichem Pseudonym erste Erfolge feiert, die sich nicht mit der Rolle der Gattin oder Mutter zufriedengibt, sondern hinaus in die Welt drängt, um selbst zu berichten. Der Bürgerkrieg in Chile bildet den politischen Hintergrund und hätte ein faszinierendes Spannungsfeld eröffnen können: die Gefahr, die Gewalt, das journalistische Ringen um Wahrheit inmitten der Wirren eines Landes, das zwischen Tradition und Moderne zerrissen wird.
Doch genau hier setzt meine Enttäuschung an: Allende erzählt dies alles mit der Distanz einer Chronistin. Der Roman liest sich – wie wir es von der Autorin mittlerweile gewohnt sind – wie eine Reportage – korrekt, detailreich, aber meist auch ohne Leben. Dramatische Konflikte, die aufbrechen müssten, werden im Keim erstickt oder bleiben reine Behauptung. Emilia reist, sie liebt, sie gerät in Gefahr – doch es entsteht kaum ein Sog, kaum Intensität. Man liest interessiert, aber selten gebannt.
Auch die Liebesgeschichte mit Eric bleibt seltsam blutleer und ohne emotionales Zentrum. Selbst die Gefahren, denen Emilia sich aussetzt, wirken eher wie abgehakte Episoden, die kurz erwähnt und dann weitergereicht werden. Für einen politischen, ernsthaften Roman fehlt es an Tiefe und psychologischer Genauigkeit; für einen packenden Unterhaltungsroman fehlen Atmosphäre, Dramatik und erzählerische Farbe. Am Ende hängt das Werk unentschieden in der Luft – zwischen Literatur und Unterhaltung –, kann aber keine der beiden Seiten wirklich erfüllen.
Damit steht der Roman merkwürdig zwischen den Stühlen: Er möchte die Geschichte einer mutigen Frau erzählen, die für ihre Unabhängigkeit kämpft, gleichzeitig aber ein Panorama von Nord- und Südamerika entwerfen – und scheitert daran, beides in Einklang zu bringen. Emilia bleibt eher Figur als lebendige Heldin, und ihre Emanzipation wirkt wie eine historische Fußnote, nicht wie ein innerlich erfahrener Kampf.
Natürlich, sprachlich ist Allende routiniert, sie weiß, wie man einen Text elegant und leicht lesbar macht. Auch die historische Rahmung – Goldrausch, Emigration, Bürgerkrieg – ist informativ und gut recherchiert. Doch gerade weil man weiß, wozu Allende fähig ist, bleibt das Gefühl, dass hier etwas fehlt: Leidenschaft, Lebendigkeit, erzählerische Notwendigkeit.
Unterm Strich bleibt „Mein Name ist Emilia del Valle“ ein solider, historisch informativer Roman – allerdings eher ein Schatten von Allendes großen Werken. Für treue Allende-Leserinnen und Leser sicher lesenswert, doch insgesamt eher ein Werk aus der zweiten Reihe.