Eindringlich - und anstrengend

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amena25 Avatar

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Schon der Titel verrät, dass es hier nicht um einen 08/15-Roman geht.
»Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb. Er wurde von einem staatlichen Mordkommando erschossen, und der Tod dieses Mannes war mir herzlich egal.« So beginnt der Roman, der u.a. mit dem Man Booker Prize 2018 ausgezeichnet wurde.
Stilistisch ist der Roman eine echte Herausforderung. Ellenlange Sätze, Wortneuschöpfungen wie der ,,Vielleicht-Freund“ oder die Betitelung der Brüder und Schwestern mit ,,Ältere Schwester“ oder Bruder 1 sind originell, witzig, weisen aber auch auf eine gewollte Anonymisierung hin.
Inhaltlich geht es um eine junge Frau, die, vermutlich in Belfast in den 70er/80er Jahren, auf der richtigen Seite der Straße, auf der richtigen Seite des Meeres lebt, aber Probleme damit hat, sich ihrer Umgebung anzupassen. Als intellektuelle, lese- und sportbegeisterte junge Frau passt sie schlecht in die von ungeschriebenen Gesetzen und Zwängen bestimmte Gesellschaft.
Mit ihrem ,,Vielleicht-Freund“ führt sie eine gute Beziehung, ohne ihn allerdings jemals ihrer Familie vorzustellen, geschweige denn sich von ihm heimfahren zu lassen. Dafür wohnt er im falschen Viertel. Als die namenlose Erzählerin das Interesse des ,,Milchmanns“ auf sich zieht, eines einflussreichen Mannes, versucht sie zwar, dieses Interesse abzuweisen und Begegnungen mit ihm zu vermeiden. Allerdings vermag sie auch nichts gegen die schnell kursierenden Gerüchte, die ihr eine Affäre mit dem älteren, verheirateten Mann andichten.
Nur sehr mühsam schafft es die Ich-Erzählerin, ihren Weg hin zur Selbstbestimmung zu finden. Dieses Ringen spiegelt sich im Roman auch in relativer Handlungsarmut wider. Umso ausführlicher und eindringlicher dagegen legt die Ich-Erzählerin ihre Gedanken, Zweifel und Emotionen dar, gespickt mit schwarzen Humor und Absurditäten. So fühlt man sich zwar sprachlich gut unterhalten, wünscht sich des öfteren allerdings etwas mehr Handlung.
Auch ist mal stellenweise versucht, die Ich-Erzählerin zu schütteln und sie dazu zu bringen, sich ihrem ,,Vielleicht-Freund“ oder jemand anderem zu öffnen und ihren Kampf um Selbstbestimmung aktiver zu führen.