Jamais-vu!

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„Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.“ – ein fulminanter Start in die Gefühls- und Gedankenwelt einer jungen Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ein selbstbestimmtes Leben, frei von den Vorurteilen und den Gerüchten innerhalb ihrer Nachbarschaft. Anna Burns dritter Roman „Milchmann“ gilt in der Presse bereits seit dem Gewinn des Man Booker Preises in 2018 als „literarisches Großereignis“ – jetzt ist das frappierende Buch auch in Deutschland erschienen.

Der Roman berichtet vom unerschrockenen Kampf einer 18-jährigen (Ich-)Erzählerin um ein selbstbestimmtes Leben im Kampf gegen Vorurteile und die Gerüchteküche ihrer Nachbarschaft, nachdem sie ungewollt die Aufmerksamkeit eines mächtigen und erschreckenden, älteren Mannes auf sich zieht – dem Milchmann. Offensiv, übergriffig und latent bedrohlich dringt dieser immer weiter in ihr Leben ein. Ohne ihr Zutun, aber auch ohne die Möglichkeit sich abwenden zu können, fühlt sie sich in der ebenfalls namenlosen Stadt alleingelassen. Was kann sie jetzt tun, in einer Gesellschaft, die sich ihre eigenen dunklen Wahrheiten erfindet und in der bereits kleinste Fehltritte unumkehrbare Konsequenzen nach sich ziehen?

Schießereien, Autobomben und Molotowcocktails, die bis zu ihrem Einsatz auch in Milchkisten transportiert werden, gehören zum Alltag der Protagonist*innen. Ihre Namenlosigkeit im Roman wird Teil des Konzeptes: Nicht nur Irgendwer McIrgendwas, auch die Protagonistin und der titelgebende Milchmann tragen keine Namen. Ihre Anonymität schafft Distanz zu den Opfern des Bürgerkriegs in Großbritannien, der den Roman zeitlich und räumlich verankert.

„Milchmann“ ist keine leichte Lektüre. Es ist kein Buch für zwischendurch. Es ist fordernd, aber es ist auch außergewöhnlich und neu. Sein Erzählstil ist oft sprunghaft, beinahe willkürlich. Seine Sätze sind verschachtelt und es gibt Wiederholungen innerhalb der Geschichte. Es ist ein Roman, der auf eine konsequent erzählte Handlung verzichtet und die Geschichte nur durch den inneren Monolog der jungen Protagonistin vorantreibt.

Wer sich einliest und etwas Geduld beweist wird definitiv belohnt:
Klare Empfehlung für ambitionierte Leser*innen!