Jenseits des Mainstreams

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Milchmann hat den Man Booker Prize 2018 gewonnen und so viele grandiose Rezensionen erhalten, dass ich mich etwas verspätet auch dran getraut habe.

Uff. Bedrückend. Anstrengend zu lesen. Schräg. Ungewöhnlich. Verwirrend. Wütend machend.
Das Buch hat so viele Emotionen bei mir ausgelöst, dass ich Schwierigkeiten habe, sie in Worte zu fassen.

Vor dem Nordirlandkonflikt, mitsamt seinen politischen und religiösen Kämpfen, schreibt Anna Burns die Geschichte der Ich-Erzählerin, die versucht, sich möglichst unauffällig zu verhalten und sich aus allem herauszuhalten, und vielleicht gerade deswegen mitten hinein in Gerüchte und Beschuldigungen stolpert. Tja, während des Gehens zu Lesen ist ja auch wirklich suspekt.

Für mich war es anfangs total befremdlich, dass keine der Figuren einen Namen hat, sondern alle in ihrer Funktion bzw. dem Verwandschaftsgrad benannt werden: mittlere Schwester, Schwager 1, Vielleicht-Freund, Milchmann - irgendwie wirkte das auf mich dehumanisierend und führte zu einer größeren Distanz zwischen mir als Leserin und den Figuren.

Zudem liegt die ganze Zeit über diese latente Bedrohung in der Luft (vom Milchmann und der Gesellschaft); ich habe während des Lesens immer etwas ganz Schlimmes erwartet, das oft angedeutet, aber nicht explizit benannt wird und bin so ganz automatisch in eine eher abwehrende Lesestimmung geraten; Burns selber spricht von einer "permanent alarmbereiten Gesellschaft", in die ich mich als Leserin einzufügen schien. Ist etwas nicht geschehen, nur weil es nicht ausdrücklich verbalisiert wird?

Milchmann ist mir unter die Haut gegangen, hat mich einerseits durchaus zum Nachdenken gebracht, vor allem über die oftmals vorhandene Passivität der Gesellschaft in Bezug auf Gewalt gegenüber Frauen, mich als Leserin teilweise aber auch ganz schön überfordert. Ein wirklich ganz anderes Buch.