Konnte mich trotz oder aufgrund seiner Ungewöhnlichkeit nicht packen

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wacaha Avatar

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Eine namenlose Erzählerin, genannt Mittelschwester, zieht ungewollt die Aufmerksamkeit eines einflussreichen älteren Mannes, genannt Milchmann, auf sich. Milchmann beginnt sie zu stalken und abzufangen, was auch den Menschen im Umfeld nicht verborgen bleibt. Schnell entspinnt das Gerücht, die junge Frau hätte eine Affäre. Aus ihrer Unauffälligkeit vertrieben findet sie sich in der unangenehmen Situation wieder, an den Rand der sozialen Gesellschaft gedrängt worden zu sein, ohne Möglichkeit dem zu entfliehen.

„Milchmann“ von Anna Burns hat 2018 den Booker Prize for Fiction als bester Roman gewonnen und dementsprechend hoch waren meine Erwartungen. Leider konnten diese nicht erfüllt werden, da ich das Buch primär als langweilig und anstrengend empfunden habe. Ich hatte große Probleme mit dem gewöhnungsbedürftigen Schreibstil der Autorin: Die junge Frau erzählt kühl, nüchtern, eintönig und voller Monotonie. Sie verwendet lange Schachtelsätze und schweift häufig ab. Das Lesen erfordert höchste Konzentration und trotzdem wusste ich am Ende eines der langen Kapitel häufig nicht, um was genau es eigentlich ging. Die Gedankenwelt der Erzählerin empfand ich als sehr verwirrend. So konnte sich bei mir kein wirklicher Lesefluss einstellen.

Des Weiteren hat es mich gestört, dass die komplette Geschichte so abstrakt geblieben ist: Es werden weder Orte noch Namen genannt, nur Bezeichnungen. Natürlich ist dies ein absichtlicher Kunstgriff der Autorin um zu verdeutlichen, dass die Geschehnisse jedem und überall zu jeder Zeit passieren könnten, ich persönlich habe aber keinen Zugang zu Figuren mit Namen „Mittelschwester“, „Schwager 1-3“ oder „Vielleicht-Freund“ aufbauen können.

Ähnlich zäh wie der Schreibstil habe ich das Leben der Protagonistin empfunden, da es wenig Handlung gab. Das Buch lebt eher von der bedrückenden Stimmung und bedrohlichen Atmosphäre sowie den strikten gesellschaftlichen Konventionen, denen sich insbesondere Frauen zu unterwerfen haben. Die angesprochenen Themen fand ich an sich gut und wichtig, sie lassen sich auf Gesellschaften verschiedener Krisenherde projizieren und liefern somit eine Milieustudie, die an Aktualität nichts einzubüßen hat. Wann und wo genau „Milchmann“ spielt bleibt offen, erst durch Hintergrundrecherche klärt sich auf, dass wir uns im Nordirlandkonflikt der 70er Jahre befinden. In Teilen konnte ich mir das schon zusammenreimen, hätte mir aber an irgendeiner Stelle Aufklärung gewünscht.

Insgesamt war mir alles in „Milchmann“ zu abstrakt und wenn ich ehrlich bin musste mich regelrecht dazu durchringen, das Buch bis zum Ende zu lesen. Das empfand ich als eine echte Herausforderung. Ich kann in dem Buch durchaus Tiefgründigkeit, Vielschichtigkeit und künstlerische Poesie erkennen, aber für mich persönlich war wirklich keinerlei Lesegenuss dabei. Das Buch polarisiert. Ich kann es also nur LeserInnen empfehlen, die schwere, anspruchsvolle Literatur mögen.