Packende Lektüre mit Sogwirkung

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rinoa Avatar

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Dieses Buch ist anders: Es fordert einen, packt einen (manchmal auch da, wo es wehtut), es regt zum Nachdenken an, aber es ist auch, trotz des nicht einfachen Themas, unterhaltsam, skurril und gespickt mit feinem Humor.

Am Ungewöhnlichsten war für mich, dass es keine Namen gibt. Andererseits birgt das auch keine Gefahr, die handelnden Personen zu verwechseln, sie sind klar nach Verwandtschaftsgrad oder auch Eigenschaften benannt, bleiben dadurch aber auch irgendwie gesichtslos und bedienen gewisse Stereotypen.
Mir hat das beim Lesen allerdings keine Schwierigkeiten bereitet, im Gegenteil: Ich fand es äußerst passend zur ganzen Geschichte und dem Schreibstil der Autorin.

Wobei wir schon beim nächsten Punkt wären. „Milchmann“ ist nicht einfach zu lesen, die Sätze und also Gedanken der Ich-Erzählerin sind lang, verschachtelt, manchmal verworren, stecken voller Wiederholungen, wirken teilweise distanziert und haben mich (trotzdem oder gerade deshalb) in einen regelrechten Strudel gezogen. Und es ist einfach großartig geschrieben.
Atemlos bin ich den Geschehnissen und manchmal auch Nicht-Geschehnissen gefolgt, unfähig einfach aufzuhören, erst am Ende eines jeden langen Kapitels konnte ich kurz verschnaufen. Doch nur, um dann gleich wieder weiterlesen zu wollen, ja fast zu müssen.

Ich war auch sehr gespannt, wie – wenn überhaupt – die Autorin die Geschichte auflösen wird; eine wirkliche Überraschung habe ich allerdings nicht erwartet, dafür waren zu viele (wichtige) Dinge bereits vorweggenommen worden.
Trotzdem hatte ich mir doch ein bisschen mehr erwartet oder besser gesagt, etwas anderes; so ganz stimmig war es für mich nicht.

Aber das ist eher Jammern auf hohem Niveau, denn ich kann vollkommen verstehen, dass Anna Burns für „Milchmann“ den Man Booker Prize erhalten hat. Auch wenn das Buch sicher polarisiert, mir hat es wirklich sehr gut gefallen.
Ich kann nur jedem empfehlen, sich auf die Lektüre einzulassen, auch wenn der Beginn möglicherweise etwas zäh erscheint. Am Ende wird man mit großartiger Literatur belohnt.