Schwer zugänglich und doch lohnenswert

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barbarasbuecherbox Avatar

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Wir befinden uns in Milchmann im Irland der 70er Jahre. Das Land ist beherrscht von Unruhen, Terroranschlägen und Denunziantentum und die Gefahr, von einer Auto- oder anders gearteten Bombe getötet zu werden, ist Teil des Lebens.
Unsere 18jährige Protagonistin hat sich an die Gefahr gewöhnt, sie lebt ihr Leben zwischen all den Problemen und geht geschickt den Fragen ihrer Mutter aus dem Weg, wann um Himmels Willen sie vorhat endlich zu heirate. Heiraten aber will sie noch nicht und genießt lieber die nicht konkret gemachte Beziehung zu ihrem Vielleicht-Freund.
Doch eines Tages wird der Milchmann auf das junge Mädchen aufmerksam. Und so wird völlig grundlos aus dem jungen Mädchen, das nur Romane aus dem 17. oder 18. Jahrhundert liest, und das am liebsten im Gehen, die Affäre eines der größten Verweigerers der Stadt, ohne, dass ein Fünkchen Wahrheit darin läge.
Noch.

Obwohl Milchmann seit Monaten auf meiner Most-Wanted-Liste stand, fiel mir selten der Zugang einer Geschichte so schwer wie hier, denn auch, wenn der außergewöhnliche Stil interessant und ungewöhnlich ist, versperrt er einem für lange Zeit den Einblick in der Wesentliche (weshalb ich, sofern möglich, jedem potentiellen Leser eine ausgiebige Leseprobe empfehle, denn der Schreibstil bleibt das ganze Buch über wie er am Anfang beginnt – und das erfordert eine hohe Aufmerksamkeit).
Wenn man zudem ohne Vorwissen (wie ich) an die Geschichte herangeht, versperrt einem weiterhin ein großes Fragezeichen vor der Stirn die Sicht, denn hätte ich das Buch nicht in einer Leserunde gelesen: ich hätte keine Ahnung gehabt, wo (Irland) und wann (Nordirlandkonflikt) ich mich befinde.
Aber ist das überhaupt wichtig? Schwer zu beantworten.
Ich gehe fast immer ohne großes Vorwissen an Bücher heran, zu schön ist es, von der Story überrascht zu werden, doch manchmal kann das natürlich auch dazu führen, dass einem der Weg in eine Geschichte lange Zeit verschlossen bleibt.
Bis zur Hälfte des Buches war ich auch davon überzeugt, felsenfest, dass der Milchmann und Anna Burns für mich ein Buch mit sieben Siegeln bleiben – doch dann passierte es plötzlich: die bisher noch so anstrengende, schwafelnde Sprache wurde zum wunderbaren Stilmittel und die Geschichte um unsere namenlose Protagonistin erschloss sich mir.
Dass es aber so lange dauert, bis das passierte, hinterlässt natürlich einen negativen Nachgeschmack.

Mein Fazit, letztendlich: eine tief berührende Geschichte, die trotz der schrecklichen Umstände immer einen Funken Hoffnung trägt – auch wenn die Beziehung zwischen ihr und mir schwelen musste, bis der Funken übersprang.