Jeder hat seine eigene Wahrheit

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Dieses Debüt von Angie Kim schlüsselt nicht nur detailiert den juristischen Prozess nach einer Explosion in einem kleinen Nest an der Ostküste Amerikas auf, sondern wendet den Blick hin zu den Schicksalen vieler Personen, die damit zu tun hatten und davon betroffen sind. Hier dreht es sich um starke, aufopfernde, verzweifelte, übermenschliche und manchmal auch schwachwerdende Mütter, die sich um ihre behinderten Kinder kümmern, genauso wie um koreanische Einwanderer in den USA, die ihren Platz dort noch finden müssen.

All diese Themen bearbeitet Kim leidenschaftlich und empathisch, sodass der Leser sofort hineingezogen wird in den Pfuhl dieser Kleinstadt. Jeder Prozessteilnehmer scheint seinen eigenen Teil der Wahrheit zu kennen und nur Stück für Stück zu Tage zu fördern. So bleibt das Buch bis zur letzten Seite hochspannend. Die 500 Seiten fliegen nur so dahin. Stilistisch baut die Autorin ihren Roman sehr geschickt auf. Das Buch ist in größere Teile - die einzelnen Prozesstage - eingeteilt. Innerhalb dieser springt die Erzählperspektive von einer Person zur nächsten. Der Leser erfährt nur nach und nach, wie das Gesamtbild der Wahrheit tatsächlich aussieht. Und man lernt bei der Lektüre: Anwälte können aus jedem "Fakt" durch Auslegung und Argumentation Wahrheiten diametral unterschiedlich aussehen lassen. Geschickt fügt Kim außerdem im Buch kleine Darstellungen ein, welche während der Verhandlung zur Anschuung dienen. Dadurch wird man selbst zum Geschworenen, merkt wie stark solche Darstellungen die eigene Meinung verändern und nach kleinen Abänderungen durch den anderen Antwalt wieder umschwappen können. Klasse!

Insgesamt bin ich restlos begeistert von diesem spannenden Roman, welcher sehr authenthisch und empathisch erzählt ist, den ich jedoch aufgrund des recht unauffälligen Covers im Buchladen glatt übersehen hätte.