Spannung auf sehr hohem Niveau bis zur letzten Seite

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janine_napirca Avatar

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TW: Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen

Miracle Creek von Angie Kim ist ein spannender Roman, der sich mit den dunkelsten Gedanken beschäftigt, die wir niemals auszusprechen wagen, die wir aber wohl dennoch sehr gut nachvollziehen können und von Zeit zu Zeit vielleicht auch selbst in uns tragen.

Elizabeth ist Angeklagte in einem Gerichtsprozess. Es geht um Brandstiftung und Mord. Der Vorwurf - sie soll ihren eigenen autistischen Sohn Henry und die fünffache Mutter Kitt auf dem Gewissen haben. Wurde ihr die Last, einen „nicht normalen“ Jungen zu haben, zu viel?

Nach und nach kommen in der Gerichtsverhandlung verschiedene Perspektiven zu Wort und Geheimnisse ans Licht. Zu keinem Zeitpunkt reißt die auf sehr hohem Niveau gehaltene Spannung ab und bis zuletzt tappt man als Leser*in im Dunkeln, wer den Brand gelegt hat, oder ob es gar ein Unfall war. Dabei wechselt man zeitlich immer zwischen der Tatzeit vor circa einem Jahr und der Jetztzeit hin und her.

Sehr gut gefallen hat mir die authentische Darstellung der Eltern von Kindern, die stärker auf Unterstützung angewiesen sind, als das normalerweise der Fall ist - zerrissen zwischen bedingungsloser Liebe, Selbstaufgabe und hoffnungsloser Überforderung, Wut, Nichtakzeptierenwollen der eigenen Situation - sämtliche Charaktere waren so ehrlich und nahbar gezeichnet.

Außerdem fand ich es super, dass anhand einer editorischen Notiz auf die rassistischen Äußerungen hingewiesen und auch erklärt wurde, dass „autistisch“ im Deutschen zwar eine neutrale Bezeichnung, im Englischen jedoch negativ konnotiert ist. Es wäre wünschenswert, dass noch mehr Verlage, wie in diesem Fall der Hanserblau Verlag, im Zweifelsfall Sensitivity Reader zu Rate ziehen.