Wenn Zufälle ein Unglück auslösen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
antje.liest Avatar

Von

Wie viele Geheimnisse kann ein Mensch ertragen? Wann verstrickt man sich dermaßen in den eigenen Lügen, die erst klein und bedeutungslos erschienen, und auch aus denen es am Ende kein Entrinnen mehr gibt? Angie Kim geht in ihrem Debütroman „Miracle Creek“ dieser Frage nach. Auf 507 Seiten nimmt sie die Tragödie der Kleinstadt Miracle Creek auseinander: In einer Scheune explodiert ein Sauerstofftank. Zwei Menschen sterben, drei werden so schwer verletzt, dass sie ihr restliches Leben noch Narben davontragen werden. Doch was ist schlimmer, die vernarbte Haut, die jeder sehen kann oder die verborgenen Gefühle, die niemand ahnt?
In einem Gerichtsprozess um die Hauptverdächtige folgen wir der Rekonstruktion der Geschehnisse an diesem schicksalhaften Tag im Sommer 2008. Vieles scheint anfänglich klar, doch je mehr wir hinter die Fassade der einzelnen Beteiligten schauen, desto klarer wird: Nichts ist so wie es scheint.
Young und Pak Yoo kamen aus Südkorea in die USA, um sich dort ein besseres Leben aufzubauen und ihrer Tochter Mary eine gute Ausbildung zu ermöglichen. All ihr Erspartes steckten sie in den Aufbau einer Sauerstofftherapieanlage, die sie liebevoll „Miracle Submarine“ nennen, auch weil es wie ein gestrandetes U-Boot in einer Scheune wirkt, aber bei seinen Patient*innen kleine Wunder vollbringen kann. Aber als dann das Unglück geschieht, ist lange nicht klar, ob es Brandstiftung oder ein Unfall war. Eine Schuldige ist schnell gefunden, viele Indizien ergeben ein scheinbar klares Bild. Aber war es wirklich so? Kann man die Wahrheit nicht etwas dehnen, damit das eigene Schicksal möglichst glimpflich davonkommt? Welche Opfer muss man bringen? Wer ist hier überhaupt Opfer und wer nicht?
Angie Kim wirft in ihrem Gerichts- und Familiendrama viele dieser Fragen auf. Wie weit würde ich gehen, um meine Familie, meine Lieben, mein eigenes Leben zu retten? Was kann passieren, wenn wir das Vertrauen ineinander verlieren und uns nichts mehr anvertrauen? Packend erzählt sie den Prozess und die Erinnerungen an den schicksalhaften Sommer, jedes Kapitel aus der Perspektive einer anderen beteiligten Person. Langsam ergibt sich so ein ganz anderes Bild. Leider verliert das Buch zum Ende hin ein wenig an Zugkraft und verheddert sich in den Irrungen und Wirrungen der Protagonisten, was es mir schwer machte ihren Gedanken und Erinnerungen zu folgen. Auch die Auflösung fand ich nicht wirklich nachvollziehbar und leider etwas zu flach. Da hatte ich mehr erwartet. Schade! Trotzdem ein lesenswertes Buch – ein richtig spannender Schmöker, in den man wunderbar abtauchen kann.