Auf der Jagd nach einem Traum

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"Aber jetzt war die Zeit des Träumens und Wünschens vorbei, jetzt war sie auf großer Fahrt. Sie reiste zur anderen Seite der Welt. Nicht nur das Schiff hatte den Anker gelichtet, sondern auch sie selbst."

Margery Benson hat seit ihrer Kindheit nur einen Traum: den Goldenen Käfer von Neukaledonien zu finden, von dem ihr Vater ihr erzählt hat, bevor er starb. Doch dann kam das Leben dazwischen, in dem es sich Margery bequem gemacht hat. Glücklich war sie nie als ledige Hauswirtschaftslehrerin, und eines Tages ändert sich alles, als sie der Konrektorin die neuen Stiefel unter der Nase wegklaut. Hals über Kopf macht sich Margery auf den Weg nach Neukaledonien - sehr zu ihrem Leidwesen mit der Sexbombe Enid Pretty, die weder etwas von Käfern versteht noch Französisch spricht. Doch die Reise über den großen Ozean und die Gefahren der exotischen Welt schweißen die unterschiedlichen Frauen enger zusammen, als sie jemals gedacht hätten.

Rachel Joyce ist für mich die Königin des philosophisch angehauchten Unterhaltungsromans. Wie immer geht es auch in ihrem neuen Buch um einen etwas verschrobenen Charakter, der aus seinem einengenden Leben ausbricht und etwas Neues wagt. Federleicht schreibt sich Joyce durch diese spannende Geschichte, in der zwar alle Verkettungen etwas vorhersehbar sind, die aber dennoch schwer fesselt. Und das Ende ist nicht nur unvorhersehbar, es ist sogar mutig!

Margery Benson ist keine unbedingt sympathische Person. Sie ist arg weltfremd und sehr snobistisch, aber sie ist auch beseelt von dem Wunsch, etwas zu erleben. Sie schafft es auf eigene Faust, eine Expedition ans andere Ende der Welt zu organisieren, und trotzt dabei so manchem Mann. Allerdings hätte sie es ohne Enid, für die sie anfangs nur Verachtung übrig hat, nicht weit gebracht.

Enid ist der Spritz im Apérol dieses Buches. Sie hat ausgefuchste Ideen, geizt weder mit ihren körperlichen Reizen noch mit ihrer Intelligenz und findet für jede Lösung ein Problem. Sie ist es, die Margery auf den Berg und zu den Käfern treibt. Und der äußere Schein trügt: Auch sie wird von einem tiefen Wunsch beseelt, der ihr Wahnsinnskräfte verleiht

Diese ungewöhnliche Freundschaft entwickelt sich langsam und glaubwürdig, aus Notwendigkeit wird Liebe. Eine Liebesgeschichte ohne Liebespaar, einfach nur zwei echte Freundinnen - das hat mein Herz gewärmt.

Auch das Setting trägt zu warmen Gefühlen bei. Mitten im deutschen Winter literarisch nach Neukaledonien zu reisen war schon wunderbar. Joyce hat jedes Detail eingefangen, von der Schiffsfahrt über den Aufenthalt in Australien bis hin zum heruntergekommen Bungalow am Fuße des Käfer-Berges. Das Leseerlebnis war wahnsinnig immersiv, Joyce's absolut bildlicher Schreibstil hat mir hier sehr gefallen. Sogar die Schilderung der Käfer, die die Frauen sammeln, fand ich faszinierend, obwohl mich diese Insekten eigentlich ziemlich anekeln.

Kleine philosophische Schwenker dürfen in einem Buch mit dem Thema Ausbrechen, Mut und Selbstfindung natürlich auch nicht fehlen. Da war zwar nichts dabei, was man so oder ähnlich nicht schon längst gelesen hätte, aber vor dem Hintergrund dieser bewegenden, dicht erzählten und ziemlich spannenden Geschichte brauche ich auch keine hochtrabenden Exkurse.

Wer ein Buch zum Entspannen und Wegträumen sucht, das dennoch nicht in Kitsch verfällt und an einigen Stellen für das Genre Unterhaltungsliteratur sogar sehr mutig ist, der ist mit "Miss Bensons Reise" genau richtig bedient. Mir hat das Buch viel Freude gemacht, und irgendwie will ich jetzt endlich mal nach Neukaledonien.