eine ganz besondere Freundschaft

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Manche Autoren und Autorinnen begleiten mich schon recht lange und es gibt tatsächlich nur wenige, von denen ich auch jedes Buch lese, aber Rachel Joyce gehört mit ihrer Art Geschichten zu erzählen und ihrer Liebe zu ihren Figuren und der Leidenschaft für verrückte bis halb utopische Träume und Wünsche, dann doch zu eine meiner liebsten. Ihr neuer Roman "Miss Bensons Reise" hat mich anfangs etwas an ihr erstes Buch "Die unwahrscheinliche Pilgereise des Harold Fry" erinnert. Auch wenn beide Romane grundlegend andere Ausgangspositionen besitzen, so handeln sie doch beide von einer überraschenden Reise, die aufgrund eines Ereignisses in der Vergangenheit und einem kleinen Wink mit dem Zaunpfahl ausgelöst wird. Doch während Harold Fry seiner alten Liebe Queenie einen letzten Dienst erweisen möchte, sie im Hospiz besuchen will und einmal quer durch England irrt, begibt sich Margery Benson ans andere Ende der Welt, um einen kleinen goldenen Käfer zu suchen.

Alles beginnt zunächst mit einem tragischen Ereignis in Margerys Kindheit. Als ihren Vater die Nachricht ereilt, dass seine vier Söhne im Krieg gefallen sind, kommt es zu einer Kurzschlussreaktion und er erschießt sich auf der Terrasse. Die zehnjährige Margery, die währenddessen mit einem Käferbuch beschäftigt ist und auf die Rückkehr ihres Vaters wartet, begreift nicht sofort was geschehen ist, doch die Erinnerung an diese Situation und an ihren Vater, der ihr kurz zuvor im Buch voller "Unglaublicher Geschöpfe" den goldenen Käfer von Neukaledonien zeigte, wird sie noch ihr ganzes Leben lang verfolgen.

London, 1950. ( 36 Jahre später) Margery führt ein sehr einsames Leben. Sie ist Lehrerin für Hauswirtschaft geworden und erklärt ihren Schülerinnen gerade wie man in Kriegszeiten einen Kuchen backt, als ein lustiger Zettel durch die Reihen gereicht wird. Eine Karikatur von ihr macht Margery deutlich wie festgefahren ihr Leben eigentlich ist und was sie bis dato erreicht bzw. nicht erreicht hat. Sie ist eine Witzfigur, mehr nicht. Hals über Kopf schmeißt sie alles hin und kratzt ihre Ersparnisse zusammen. Sie will nun endlich über ihren Schatten springen, sich ihrer Leidenschaft widmen und diesen ominösen goldenen Käfer für sich und ihren Vater finden. Doch alleine wäre diese Reise wahrscheinlich unmöglich und so sucht sie mit Hilfe der Zeitung nach einer passenden Reisebegleitung. Die Auswahl ist mager und so tritt, zu Margerys eigenen Überraschung, Enid Petty in ihr Leben. Die eher geschwätzige Sexbombe, mit ihrem pinken Kostüm und den blondierten Haaren ist nicht gerade die einfachste Person und das komplette Gegenteil von Margery, aber das Schicksal hat es so gewollt und die beiden gemeinsam auf diese abenteuerliche Reise geschickt. Und was als eine Art Katastrophe beginnt, wird schnell zur engsten Freundschaft in Margerys Leben. Doch was sie noch nicht ahnt, auch Enid hat ein dunkles Geheimnis und einen noch größeren Traum. Für beide beginnt ein Abenteuer, das sie irgendwie zu anderen Menschen machen wird und in Situationen katapultiert, mit denen sie in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet hätten.

Was für Ritt! Dieser Roman ist wirklich ein großes Stück Unterhaltungsliteratur, wenn nicht sogar eher eine Art Komödie in Buchform. Dieses ungleiche Duo mit all ihren Problemen, verschiedenen Ansichten, kleinen und größeren Streitereien ist häufig so eine Art "Dick und Doof" und obwohl sie ständig auseinanderdriften, merken sie doch schnell, dass sie beide für sich und diese Reise einfach das Beste sind, was ihnen je hätte passieren können. Die Charaktere legen im Laufe dieser Geschichte eine unglaubliche Wandlung hin, gerade die immer in sich zurückgezogene, korrekte und strukturierte Margery taut auf und lernt das Leben von einer ganz anderen Seite kennen. Und Enid? Sie hat stets so ein paar ganz besondere, wenn nicht sogar abstruse oder dramatische Überraschungen parat. Dieses Buch lebt so unglaublich von diesen beiden herzzerreißenden Protagonistinnen und ihrer Geschichte hinter dieser Käfersuche. Auch die Menschen um sie herum fordern die beiden ständig aufs Neue heraus und so wird es dann für den Leser/die Leserin ganz gewiss auch nie langweilig.
In Rachel Joyces Romanen tauchen stets so ganz besondere Charaktere auf, die bis ins letzte, kleinste Detail so wunderbar verschroben und liebevoll zugleich sind. Und irgendwie schafft sie es gerade dadurch mich stets zu begeistern und von allen anderen Gedanken abzulenken. Man geht mit ihr und ihren Charakteren auf Reisen, bangt und hofft, dass am Ende alles wieder gut werden wird. Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung und manchmal machen sie so ganz unerwartet eine große Biegung. Es ist so ein bisschen wie das Leben... häufig voller verrückter Zufälle und selbst in den schwierigsten Zeiten noch voller Möglichkeiten, oftmals fehlt nur das passende Gegenstück und alles wird mit ihm so ein kleines bisschen leichter. Mit "Miss Bensons Reise" kommt Rachel Joyce für mich zwar nicht an "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry" und das passende Gegenstück "Das Geheimnis der Queenie Hennessy - Der nie abgeschickte Brief an Harold Fry" heran, aber es ist ein toller, unterhaltsamer Roman über Freundschaft, Träume, Freiheit und ein großes Stückchen Mut.