Acht Kurzgeschichten, acht Frauenschicksale

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„Meine insgesamt sehr unterschiedlichen Texte, die alle aus meiner langen und komplizierten persönlichen Geschichte, der Vielzahl an mir zugewiesenen Rollen und meinen Grübeleien entstanden waren, wurden versimpelt und nach Lust und Laune angeführt. […] Nach dieser Vereinnahmung meiner Texte konnte ich kein Wort mehr schreiben.“ (S. 69f.)

Seit ich Cho Nam-Joos Debutroman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ gelesen hatte, der einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließ, wusste ich, dass ich jedes weitere Buch, das diese Autorin schreiben würde, lesen würde. Wie groß war somit meine Freude, als ich feststellte, dass bereits ein Jahr später ein neues Buch der südkoreanischen Autorin erscheint! Mit großer Vorfreude habe ich mich auf das neue Buch gestürzt und wurde – natürlich! – nicht enttäuscht.

„Miss Kim weiß Bescheid“ ist im Gegensatz zu ihrem Erstlingswerk, in dem sich die ganze Geschichte um die Figur der Kim Jiyoung dreht, eine Kurzgeschichtensammlung. Wir tauchen hier in acht verschiedene Frauenschicksale unterschiedlichster Altersstufen ein. Während in der Geschichte „Junge Liebe, 2020“ die Hauptfigur im Schulalter ist, befindet sich die Erzählerin von „Unter dem Pflaumenbaum“ bereits in Rente. Meistens jedoch handeln die Kurzgeschichten von jungen Frauen, die einer Arbeit nachgehen, was oftmals mit einem Kampf gegen die Reduzierung auf Frau und Mutter einhergeht. Wir sehen wie sich diese Frauen stets weiterbilden, hart arbeiten und geradezu verausgaben, um dieselbe gesellschaftliche Position und Anerkennung wie die Männer ihres Landes zu erhalten. Doch Männer spielen in Cho Nam-Joos Kurzgeschichten eine eher untergeordnete Rolle, sie sind lediglich Randfiguren. Nur eine Kurzgeschichte springt in dieser wie auch in stilistischer Hinsicht aus dem Schema heraus und zwar die Geschichte unter dem Titel „Lieber Hyunnam“, die in Form eines Briefes verfasst ist. Die Briefschreiberin schreibt einen Abschiedsbrief an ihren Partner, mit dem sie zehn Jahre lang zusammen war. In diesem Brief reflektiert die namenlos bleibende Schreiberin über die Natur ihrer zehnjährigen Beziehung zu Hyunnam. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sie in einem unausgewogenen und ungesunden Verhältnis steckte, das durch Demütigung und Manipulation von Seitens ihres Partners charakterisiert war. Folgerichtig endet der Brief mit einer völligen Loslösung und den Worten „du Arschloch!“ Die anderen Kurzgeschichten werden uns ebenfalls meistens von der Ich-Erzählerin, manchmal aber auch aus der Perspektive der personalen Erzählerin näher gebracht.

Die Autorin überrascht und begeistert auch in diesem ihrem zweiten Werk mit einer nüchternen, ungeschönten Sprache. Doch so wie die erste Blume im Frühling die noch von Frost gehärtete Erde durchbricht, bricht auch hier in jede Erzählung unvermittelt die poetische Schönheit ein. Wie bereits in ihrem Erstlingswerk ist die Autorin auch hier ganz weit davon entfernt in irgendeiner Hinsicht nach Beifall heischen zu wollen. Ihre wahrheitsliebende Stimme möchte vielmehr gehört werden, sie möchte Aufmerksamkeit erwecken und sie möchte Veränderung herbeiführen. Sie möchte, dass die Frauen Südkoreas gesehen werden und sie möchte, dass sich ihr Alltag und ihre Ausgangsposition verändert. Chon Nam-Joo sehnt sich danach, dass sie ihr Dasein als lebenswert erachten und ihr Leben genießen können. Aber auch Mut zusprechen, möchte sie, und den unterdrückten Frauen Südkoreas und auf der ganzen Welt Trost spenden. Sie möchte ihnen zeigen: Ihr seid nicht allein. Das gelingt ihr wunderbar mit „Miss Kim weiß Bescheid“. Der Name Kim, der oft in dem Buch vorkommt, steht dabei stellvertretend für alle Frauen in Südkorea – Miss Kim weiß Bescheid, aber nicht nur sie, auch die anderen müssen Bescheid wissen, damit sich die Zustände für sie zum Besseren wenden können. Die Kurzgeschichtensammlung ist nach „Kim Jiyoung, geboren 1982“ das zweite bewegende Manifest der Autorin, das die Leserin wie einen kostbaren Schatz hegen, das sie aber genauso gut anklagend in die Hände eines Mannes drücken kann.