Das krasse Gegenteil von guter Stimmung

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laberlili Avatar

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Als ich zuletzt den von mir sehr geliebten Roman „Alligatoren“ von Deb Spera las, verschreckte mich einerseits die Tristesse, die die Handlung ausstrahlte, welche mich zugleich dadurch faszinierte, dass sie sehr viel Hoffnung vermitteln konnte, obschon die Geschichte in all ihrer trüben Atmosphäre noch auf die ganz große Weltwirtschaftskrise der 20er/30er des letzten Jahrhunderts zusteuerte.
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ verstärkte in mir nur das Gefühl, dass (nicht nur) Deutschland nun knapp 100 Jahre später auf eine ähnliche globale Krise zurast; es erzählt die beängstigende Geschichte einer „normalen“ Familie aus dem Osten Deutschlands, deren Söhne zu jungen Erwachsenen im Hier und Jetzt heranreifen, die quasi in die rechte Szene „hineinwachsen“, ohne jegliches Verständnis, ohne jegliches Wissen. Hakenkreuze werden nicht als solche erkannt, sondern man malt sie nach, weil man sie eh so oft an irgendwelche Wände geschmiert sieht; Fotos von Hitler symbolisieren nur eine erstrebenswerte Macht. 9/11 passierte, als man noch ein Kind war, und darüber „weiß“ man nicht mehr als dass die USA das doch verdient hatten… Man sagt/macht/meint einfach dass, was die nur wenig Älteren einem vorkauen und an Allem sind die Ausländer schuld. Woran genau eigentlich bleibt sehr diffus, zumal die hier beschriebene Familie eher dem Mittelstand angehört; die Eltern sind beide berufstätig, man besitzt ein eigenes Haus, die Kinder wachsen auch von den Großeltern vermeintlich behütet auf, können nach dem Schulabschluss Ausbildungen absolvieren… im Prinzip ist diese Familie das Abbild einer ganz normalen Familie aus der Mitte der Gesellschaft und die komplette Handlung könnte auch ebenso in einem kleinen Dorf im Westen Deutschlands spielen. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ erklärt nicht, warum Menschen immer weiter nach rechts rutschen; es schildert lediglich eine hoffnungslose Wanderung dorthin, in der festen Überzeugung, dass „Deutschland mal wieder einen richtigen Krieg braucht“. Es werden Bedrohungen erfunden und hochstilisiert, die nicht da sind; Übergriffe inszeniert und Schlägereien angezettelt ; man zerstört längst leerstehende Gebäude, mit denen man angeblich sentimentale Erinnerungen verbindet, damit niemand „Fremdes“ sie übernehmen konnte anstatt sich alternative Nutzungsmethoden auch nur kurz zu überlegen; an keiner Stelle hatte ich das Gefühl, irgendjemand wüsste hier, wofür er eigentlich kämpfte. „Ich weiß nicht, was ich will, also bin ich gegen alles, was ist“ schien hier das Motto zu sein; die Handlung triefte vor Mitläufertum, obschon auch eine der Figuren später kritisiert wurde, dass sie doch einfach nur so mitlief ohne aktiv beteiligt zu sein. Da wurde ein merkwürdiges Gruppenideal, ein aktiver Zusammenhalt, „Teamarbeit“, propagiert, obschon ständig zu merken war, dass dieser Zusammenhalt letztlich nicht existierte: Man tat kumpanenhaft, hatte aber doch nichtmals Ahnung von den eigenen „Freunden“, alles war auf Hörensagen ausgelegt.
Rietzschel erzählt hier auf eine sehr nüchterne Art, in einem eher stakkatoartigen Stil; häufig verschwimmen die Grenzen zwischen Figuren, so dass die Personen zu einem Einheitsbrei ohne jedwede Individualität werden. Wer nicht mitmacht, steht Allem eher resignierend und ohnmächtig gegenüber; nein, auch hier macht nicht jeder mit. Die Großmutter übergibt ihren Kleingarten später sogar an einen Syrer, als sie die Bewirtschaftung körperlich nicht länger stemmen kann und versteht den darum entstehenden Aufruhr ebensowenig wie die Mutter der Jungs, von denen einer immer aktiver „mit der Faust in die Welt schlägt“, während der Bruder sich nach seiner Lehre eher einzuigeln beginnt und mehr auf Distanz zur aktiven rechten Bewegung, seiner alten „Clique“, geht und darum als „komischer Kauz“ zu gelten beginnt, obschon die älteren Generationen den Jungs ebenfalls schon von klein auf häufig beteuert haben, dass „die Anderen“ schuld sind (so wird mitunter eine falsch gemachte Hausaufgabe, die zudem hauptsächlich von Großeltern und Eltern gemacht wurde, angeblich nur deswegen mit einer Drei benotet, weil die Lehrer früher auch schon die Eltern auf dem Kieker hatten). Aber niemand positioniert sich klar entgegen der Rechten und so bleibt ein hasserfüllter, pessimistischer, hoffnungsloser Rahmen übrig, in dem sorbische Mitbürger selbst von Halbsorben rassistisch beschimpft werden, in dem eine offene Auseinandersetzung, also ein Krieg, anscheinend als einzige Zukunftsperspektive gesehen wird, selbst von jemandem, dessen Dasein eigentlich auf grundsoliden Füßen steht… und insgesamt ergibt sich eine deprimierende Lektüre, die umso deprimierender ist, weil sie die derzeitige gesellschaftspolitische Entwicklung so punktgenau abbildet.
Von dieser Trostlosigkeit, den Achtlosigkeiten, den Gehässigkeiten mag ermüdend zu lesen sein, zumal die Handlung ohne echten Hoffnungsschimmer auskommt, aber im Prinzip ist dieses Buch ein in die offene Wunde unserer Zeit gelegter Finger.