Realistisch und betulich

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Was in meinen Augen den Reiz des neuen Thrillers „Mit kalter Präzision“ von Michael Tsokos ausmacht, ist der hohe Grad an Realismus und Authentizität. Der Autor selbst ist vom Fach und das merkt man jeder Zeile an. Die medizinische Seite kommt unglaublich glaubhaft und stimmig daher. Das findet man in dieser Form nicht in vielen anderen Thrillern. Man erhält als Leser:in einen sehr lebensechten Eindruck vom Arbeitsalltag einer Rechtsmedizinerin. Die Bedeutung der Rechtsmedizin für die Aufklärung eines Falls kommt gut zum Ausdruck. Am Beispiel der Schwester von Sabine Yao wird auch eine interessante psychologische Seite in den Roman miteinbezogen. Auch das hat mir gut gefallen. Nebenbei wird auch noch Wissen zu einem historisch bedeutsamen Fall der Rechtsmedizin vermittelt (Otto Prokop und der Fall Hans Hetzel, vgl. S. 182). Klasse!

Zwar gelingt es dem Autor nach meinem Empfinden nicht, ein hohes Maß an Spannung zu erzeugen. Oft geraten Schilderungen zu weitschweifig und zu ausführlich. Vom klar erkennbaren roten Faden wird oft abgewichen. Und der Fall wird recht betulich, behäbig und gemütlich vorangetrieben. Auch der Schreibstil liest sich überwiegend trocken und sachlich. Eine hohe Informationsdichte zeichnet den Erzählton aus. Aber dafür gelingt Tsokos etwas anderes: Die rechtsmedizinische Beschreibung der Tat und die Darstellung der behördlichen Abläufe wirken allesamt wirklichkeitsnah. Im Zentrum steht die Frage, ob der potentielle Täter eines Mordes überführt werden kann oder nicht. Und wie kann die Rechtsmedizinerin Yao dabei behilflich sein? Weitere spannungserregende Impulse habe ich vermisst. Zum Ende hin zieht das Tempo dann aber an, durch flotte Perspektivwechsel entsteht passagenweise sogar eine gewisse Dynamik. Kurzum: Das Finale ist stark, alles was davor kommt, fand ich eher durchschnittlich, allerdings mit überzeugender rechtsmedizinischer Darstellung. Von mir gibt es 3 Sterne!