Auf der Schattenseite der Gesellschaft

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mittelhessin Avatar

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Beatrice ist in einem heruntergekommenen Stadtviertel "La Fortezza" groß geworden. Arm, aber glücklich war ihre Kindheit. Nicht so für Alfredo, der aus noch ärmeren Verhältnissen stammt und von seinem oft betrunkenen Vater beinahe tot geschlagen wurde. Im Stadtviertel werden Beatrice und Alfredo "die Zwillinge" genannt, obowohl sie nicht miteinander verwandt sind. Doch Alfredo ist tot - die Umstände, die zu seinem Tod führten, bleiben zunächst im Dunkeln. Ob und welche Rolle Arianna, eine gleichaltrige Frau, die ebenfalls in dem Stadtviertel groß geworden ist und bei der Beerdigung sehr viel Emotionen zeigt, spielt und ob sie mit dem Tod zu tun hat, wird allenfalls angedeutet. Die Protagonistin wirkt während der Beerdigung sehr beherrscht, entscheidet dann aber, dem Stadtviertel und all ihren Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit den Rücken zu kehren.

Mit der Schilderung der Beerdigung beginnt das Buch, dann führt die Autorin, Valentina D'Urbano, den Leser in Form einer Retrospektive in die Kindheit und Jugend der beiden Protagonisten zurück und lässt die Leser teilhaben an den ärmlichen Verhältnissen und Lebensumständen, die Beatrice und Alfredo zusammengeführt haben. Einerseits sind sich die beiden sehr nahe und fühlen sich zueinander hingezogen, aber die große Ähnlichkeit führt zu permanenten Reibereien, Kämpfen und hin und wieder auch zu Handgreiflichkeiten. Ein unermüdliches Kräftemessen. Es scheint, als könnten die beiden nicht miteinander, aber noch weniger ohne einander. So ziehen die Jahre ins Land und aus Kindern werden Jugendliche. Während Beatrice die Schule nicht abbricht und letztlich sogar eine Arbeit findet, zeichnet sich für Alfredo nur der Weg in die Perspektivlosigkeit ab, so dass es nicht verwundert, dass er mit Drogen in Berührung gerät.

Die Autorin versteht es ausgezeichnet, die Lebensumstände, die Stimmungen und die Charaktere sehr drastisch, plastisch und lebendig wiederzugeben. Die Sprache ist dem Milieu angemessen und durchaus glaubwürdig. Das letzte Kapitel des Buchs ist eine Vorschau auf Ereignisse, denen Beatrice in ihrem künftigen Leben entgegen sieht - sie sind in modalem Futur geschrieben - so könnte es sich einmal abspielen. Auch wenn diese Vorausschau durchaus zutreffend sein könnte, so ist das Ende des Buches nach meinem Geschmack der übrigen Geschichte nicht unbedingt angemessen. Darüber hinaus bleiben einige Fragen unbeantwortet, unter anderem auch, warum Arianna bei der Beerdigung so aufgewühlt ist.

Insgesamt trotz der bedrückenden Lebensumstände von Beatrice und Alfredo dennoch ein sehr bemerkenswertes Buch für jemand, der keine klassische Liebesgeschichte erwartet und der offen ist für einen Blick in ein gesellschaftliches Umfeld, das vielen fremd sein dürfte.