Absolut ungewöhnlich

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waldeule Avatar

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Sprachlich ist das Buch wohl einzigartig. Konsequent berichtet die Ich-Erzählerin Hedda aus ihrem Leben und zwar so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie springt hin und her, von einem zum nächsten, kommt vom hundertsten ins tausendste. Mal sind es Geschehnisse von heute, mal von gestern, anfangs auch vom letzten Monat. Nicht nur was sie sich gerade denkt und erlebt, sondern auch gerne, was ihre beiden Liebhaber (die sich beide gerne reden hören) so alles sprachlich von sich geben. Dabei geht es dann querbeet um Politik, Philosophie, Feminismus, das Leben im Allgemeinen und im Besonderen. Das ist chaotisch, kurzweilig, phasenweise anstrengend und manchmal auch nervig. Teilweise habe ich nicht verstanden, von was sie da alles spricht – da fehlt mir das (norwegische und sonstige) Hintergrundwissen. Aber da es für die Geschichte nicht von Bedeutung ist, war mir das auch egal. Lesbar wird das Sammelsurium durch die Einteilung in kurze Kapitel und unterschiedliche Abschnitte, so dass ein äußeres Gerüst die Geschichte rahmt.

Unter dem ganzen Blabla des Hintergrundgemurmels entdecken wir die eigentliche Geschichte von Hedda. Ein gestrandetes Großstadtkind mit sich häufenden Problemen: Liebe, Wohnung, Geld, Job und dann auch noch eine ungewollte Schwangerschaft. Es ist DIE große Kunst der Autorin, Heddas Geschichte so indirekt, ja fast unterschwellig „nebenbei“ zu erzählen. Das Wichtigste steht zwischen den Zeilen oder wird in kurzen Andeutungen angerissen. Und trotzdem transportiert Lotta Elstad vielleicht gerade durch diese ungewöhnliche Erzählweise Heddas Persönlichkeit, ihre Sprunghaftigkeit, ihre Art zu leben weitaus besser, als eine andere Form es gekonnt hätte. Hedda ist keine einfache Protagonistin, sie ist sperrig und – einfach Hedda. Über sie gäbe es viel zu schreiben, doch das hier ist eine Buchrezension und keine Persönlichkeitsanalyse – deswegen belasse ich es dabei.

Auch wenn es anfangs nicht so aussieht, folgt das Buch einem roten Faden. Und erzählt einen bestimmten Abschnitt in Heddas Leben, nämlich den ihrer frühen Schwangerschaft. Nicht mehr, nicht weniger. Wer ein rosarotes Herzchenbuch erwartet oder eine reflektierte Abwägung von „Für“ und „Gegen“ Abtreibung, der soll bitte die Finger vom Buch lassen.

Fazit: Ich bin sehr froh, das Buch bei Vorablesen gewonnen zu haben, denn so durfte ich eine ganz neue, unerwartete Leseerfahrung machen. Es ist durchaus ein anstrengendes Buch - sprachlich und mit sperriger Protagonistin - aber es zeigt, wie Literatur auch funktionieren kann. Mit einer ganz ungewohnten Erzählweise, die ich als „jung“ und „modern“ bezeichnen würde. Von mir 4 Sterne für ein gelungenes Experiment.