Erzähltechnisch raffiniert

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"Ein Herzschlag trennte ihn vom Aufprall. Er wollte nicht sterben. Nicht so. Ein Schrei schnitt von unten durch die Luft und wurde immer lauter, je schneller er auf den schwarzen Boden zuraste."

Es heißt, dass der erste Satz oft schon darüber entscheidet, ob man ein Buch weiterlesen möchte oder nicht. Hier wird durch die Intensität der sprachlichen Bilder sofort Spannung erzeugt.

Das wird durch raffinierte Wendungen im Prolog beibehalten: Denn zunächst heißt es in der Mitte des Prologes: " Die Erleichterung weckte ihn auf. Es war nicht echt. Alles nur ein böser, dunkler Traum." (Seite 7) und man denkt, dass das Grauen vom Anfang erst einmal abgewendet ist. Diese Illusion hält sich aber nicht lange, denn Stück für Stück wird deutlich, dass das Grauen real ist- wenn auch anders gelagert, als zu Beginn beschrieben: " Er wollte sich aufsetzen, aber irgendetwas fühlte sich falsch an. Sein Körper gehorchte ihm nicht. Seine Arme und Beine lagen bleischwer auf der weichen Unterlage und bewegten sich keinen Millimeter. Auch seine Augen. Er strengte sich mit ganzer Kraft an, aber er konnte sie nicht öffnen. Als er erkannte, warum, stürzte ihn der Schock zurück in die Dunkelheit. Sie waren zugeklebt." (Seite 8).

Im ersten Kapitel nach dem Prolog wird die Hauptfigur eingeführt: Carlotta Fiore. Sie ist auf dem Weg zu einer ihr nahestehenden Person,Konrad Fürst, der 18 Monate lang im Koma gelegen hatte und nun aufgewacht ist: " Eineinhalb Jahre hatte Konrad wegen seines »Unfalls« in der Wiener Oper im Koma gelegen. Eineinhalb Jahre war ich neben seinem Bett gesessen. Hatte versucht, den Blick auf seine Augenlider zu meiden, die ihm zugeklebt worden waren, um ein Austrocknen der Hornhaut zu verhindern." (Seite 11). Erneut wird deutlich, dass im Prolog mit den Erwartungen des Lesers gespielt wurde, denn nun fragt man sich, ob es sich im Prolog vielleicht doch nicht um ein Verbrechen handelte, sondern um das Erwachen aus dem Koma. Damit wäre mit dem traditionellen Muster, einen Krimi zu beginnen, indem man z.B. das Verbrechen beschriebt, um das es im Folgenden gehen wird, durchbrochen; was aber nicht sofort deutlich wird.

Insgesamt zeichnet sich diese Leseprobe durch Raffinesse und sprachliche Finesse aus, was an der Dichte der sprachlichen Bilder, den rasanten Sprüngen in der Zeit und den Handlungssträngen liegt.Der Leser wird zeitlich hin - und hergeworfen und muss wach bleiben, um die unterschiedlichen Fäden zusammenzuführen: Nach dem ersten Kapitel gibt es einen Rückblick, in dem man von dem Mord an einem jungen Mädchen erfährt. Die Polizei ermittelt nun aktuell in dem Mordfall eines jungen Mädchens.
In die Ermittlungen eingebunden ist Carlotta Fiores Ehemann, der bei der Kripo ist. Man ahnt aber, dass Carlotta selbst auch eine Rolle in den Ermittlungen spielen wird, denn der aktuelle Mordfall weist Parallelen zu einem Fall auf, der sich vor mehr als dreißig Jahren ereignet hat und in dem Konrad Fürst, der aus dem Koma nun gerade aus dem Koma erwacht ist, damals ermittelt hatte.

Wenn es auch nach der Leseprobe so weitergeht, wie bis hier beschrieben, ist spannendes Lesevergnügen garantiert!