Zwischen Glaube und Identitätssuche

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Im Mittelpunkt des Romans stehen die beiden Geschwister Esther und Ben, die in einer sehr gläubigen Familie aufgewachsen und heute feste Mitglieder in der religiösen Gemeinschaft einer Freikirche sind. Die Gemeinde bedeutet ihnen alles und sie haben dort ihren festen Platz. Ziemlich modern präsentiert diese sich, inklusive Instagram-Auftritt und Musical-Gottesdienst. Die Glaubensansichten sind jedoch traditionell und veraltet. Diese patriarchalen Strukturen werden weiter durchgedrückt - Kritik und Hinterfragen sind nicht erlaubt. Die Geschwister kämpfen mit ihren individuellen inneren Konflikten, Gedanken und Begierden. Während Ben konservative Vorstellungen hat, setzt sich Esther immer kritischer mit dem Glauben auseinander. Ben hadert mit seiner Sexualität, geht zur Therapie und nimmt an zweifelhaften Sitzungen teil, die ihn von der Sünde befreien sollen. Esther hingegen emanzipiert sich immer mehr und eckt bei vielen Punkten an. Ihre bisher so sicher geglaubte Welt gerät ordentlich ins Wanken. Bald stellt sie ihren Glauben komplett in Frage. Warum soll sie sich weiter unterordnen und klein gehalten werden, nur weil sie eine Frau ist?
Caroline Schmitt schreibt klar, präzise und feinfühlig. Durch das Handeln der Protagonisten stellt sie die Glaubenssätze in Frage, ohne explizit zu werten. Sanft erzählt sie über das Leben der beiden Geschwister innerhalb der vorgegebenen Zwänge und Rollenbilder der Freikirche und wie die beiden diese immer mehr in Frage stellen. Man ist beim Lesen gleichermaßen fasziniert wie entsetzt, wie tief der Glaube sich im Alltag der beiden verwurzelt hat und ihre Lebensentscheidungen lenkt und beeinflusst. Was bleibt übrig ohne den Glauben und den Halt der Gemeinschaft?

Obwohl ich kein religiöser Mensch bin, hat mich die Thematik total in den Bann gezogen. Ich habe die beiden Geschwister gerne auf der Suche nach ihrem eigenen richtigen Weg begleitet. Ein fesselnder und herrlich unterhaltsamer zweiter Roman von Caroline Schmitt über Glaube und Machtmissbrauch, Identitätssuche und Selbstbestimmung, Familie und Zusammenhalt. Große Leseempfehlung!