Montmartre im späten 19. Jahrhundert

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gormflath Avatar

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Im Juni 1866 hilft die Hebamme Marianne der schwangeren Jeanne bei der Geburt ihrer Tochter Elise. Jeanne arbeitet als einfache Wäscherin auf dem Hügel von Montmartre und hat kaum genug, um selbst zu überleben.
Am gleichen Tag wird Marianne zum Boulevard de Clichy gerufen, denn dort, in der vornehmen Wohnung des betuchten Kunsthändlers Alphonse Dumas, liegt dessen Frau Amélie seit vielen Stunden in den Wehen. Nur die Hebamme Marianne kann bei der Geburt der Tochter Valérie helfen.
Das ist der Beginn der Geschichte zweier ungleicher Frauen in einem Paris, das uns heute kaum noch bekannt ist.

Elise Lambert wächst in großer Armut auf. Während sie noch die Schule besucht, muss sie danach stundenlang in der Wäscherei mitarbeiten, um das Überleben für sich und ihre kleine Familie zu sichern. Schon früh beneidet sie ihre Freundin Louise, die zwar in ebenso ärmlichen Verhältnissen lebt, sich aber nicht um Konventionen schert und sich ihre Freiheiten nimmt. Es ist Louise, die Elise fürs Tanzen begeistert und in ihr den Wunsch weckt, als Tänzerin in den schillernden Varietés von Montmartre berühmt werden. Etliche Schicksalsschläge stellen Elise vor große Herausforderungen. Während Louise als Tänzerin „La Goulue“ im Moulin Rouge der große Durchbruch gelingt, steht Elise zunächst lange in deren Schatten.

Valérie wächst dagegen sehr behütet und in großem Wohlstand auf. Ihre Mutter, die bei ihrer Geburt fast gestorben wäre, neigt zur Frömmigkeit und lässt keine Gelegenheit aus, ihre freiheitsliebende Tochter zu kritisieren. Valéries Vater dagegen erkennt sehr früh das zeichnerische Talent seiner Tochter und ermöglicht ihr schließlich – gegen den Wunsch der Mutter – den Besuch an der Kunstakademie, wo sie als einzige Frau studieren darf. Dort lernt Valérie so bekannte Persönlichkeiten wie den jungen Maler Henri de Toulouse-Lautrec kennen. Auch Valérie muss gegen Schicksalsschläge kämpfen, um ihr Glück zu erreichen.

Marie Lacrosse, die zunächst unter ihrem wirklichen Namen Marita Spang mehrere historische Romane veröffentlichte, lässt in ihrem neuen Zweiteiler „Montmartre“ nicht nur die Zeit des späten 19. Jahrhunderts in Paris wieder aufleben, sondern beschreibt in zwei Handlungssträngen das Leben zweier Frauen, das unterschiedlicher nicht verlaufen könnte.
Die damaligen Verhältnisse in Montmartre werden von der Autorin bestens recherchiert dargestellt. Auf der Butte, ganz oben im Stadtteil Montmartre, der gerade erst zu Paris eingemeindet wurden, lebte das bitterarme Volk im Slum. Dorthin waren nämlich die Bewohner, wie auch Elise und ihre Familie, durch zahlreiche Sanierungsmaßnahmen Baron Haussmanns vertrieben worden. Dagegen wächst Valérie Dumas als Tochter eines wohlhabenden Kunsthändlers in privilegierten Verhältnissen sogar mit Dienstboten auf.
Die Autorin, die auch bekannt für die Kaufhaus-Saga um das KaDeWe ist, lässt irgendwann das Leben ihrer beiden Protagonistinnen kreuzen. Mittendrin in der berühmten Künstlerszene von Montmartre treffen wir beim Lesen viele historische Persönlichkeiten, deren Namen uns auch heute noch geläufig sind.
Dieser erste Band des Zweiteilers weist trotz rund 600 Seiten keine Längen auf, sondern hat mich voller Begeisterung in die damalige Zeit eintauchen lassen. Ich freue mich bereits auf die Fortsetzung, die im November diesen Jahres erscheint und werde bei meinem nächsten Paris-Besuch an Elise und Valérie denken.