Es bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach anzufangen

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amaxing4 Avatar

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Wenn der niederländische Autor und Historiker Rutger Bregman ein Buch veröffentlicht, hören dem jungen Historiker alle zu. Nicht umsonst tritt er auch auf dem Weltwirtschaftsforum oder vor Königen und Politikern aus aller Welt auf. Wie schon bei seinen vorangegangenen Büchern „Im Grunde gut“ und „Utopien für Realisten“ hat sein aktuelles Buch appellativen Charakter. Schon im Untertext des Titels „Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt“ zeigt sich, dass Bregman die Menschen bessern möchte.

Das zeigt sich schon in der Einleitung, in der er sein Hauptziel skizziert. Die Menschheit lasse sich anhand zweier Skalen (Ambition und Idealismus) in vier Kategorien einteilen: nicht idealistisch und nicht ambitioniert, nicht idealistisch und ambitioniert, idealistisch und nicht ambitioniert und – die kleinste Gruppe – ambitioniert und idealistisch.
Laut Bregman müsse es das Ziel sein, die Menschen dazu zu bringen, selbst in die letzte Gruppe zu kommen, damit sie einen wertvollen Beitrag für die Menschheit liefern und nicht hinter ihren eigenen Möglichkeiten zurückbleiben würden. Dies gelinge jedoch den wenigsten, weswegen es sein erklärtes Ziel sei, eine Inspiration zu sein.

Die Erkenntnisse, die Bregman schildert, sind teilweise wirklich augenöffnend. Wenn er zu Beginn zeigt, dass es Menschen gebe, die keinen besonderen Ansporn benötigen, um anderen zu helfen (=Zeros) und andere, die eben diesen erst bräuchten, um tätig zu werden; also jemanden, der sie anspricht und fragt, ob sie helfen würden (=Ones). Die wenigsten sagen nein, sie brauchen nur einen kleinen Stups in die richtige Richtung.

Angenehm am Buch ist, dass Bregman mit der Gruppe der Reel- und Kachelpostenden auf Instagram hart ins Gericht geht. Awareness bringt nichts. Die meisten Menschen wissen, wie kritisch Massentierhaltung ist und essen dennoch Fleisch, das von dort stammt. Ohne direkte, aktive und kompromissbereite Tätigkeit wird kein Fortschritt erzielt.

Im weiteren Verlauf gibt er weitere Ratschläge und unterfüttert sie mit beeindruckenden Beispielen und Belegen von Menschen, denen Außergewöhnliches gelungen ist. Aus meiner Sicht sind die Geschichten dieser Menschen das Highlight des Buches. Selbst ohne den missionarischen Kontext des Buches wären allein diese Geschichten es wert, den Text zu lesen.

Kritisch anzumerken sind zwei, aus meiner Sicht zentrale Aspekte des Buches. Zum einen richtet er sich primär an Menschen, die die Fähigkeiten und Ressourcen haben, die Welt wirklich besser zu machen und weniger an den Ottonormalmenschen, der seinen Lebtag damit verbringt, über die Runden zu kommen. Damit steckt in diesem Buch schon etwas Elitäres, gegenüber Minderheiten und marginalisierten Gruppen etwas Paternalistisches.

Zum anderen klärt Bregman nicht klar, was jetzt als Ideal dienen kann und soll. Jeder Sektenführer (vgl. Kap. 3) ist der festen Überzeugung, etwas Großartiges für die Welt zu vollbringen. Hier sei ein (, aus dem Kontext gerissenes) Beispiel aus dem Buch erwähnt. Die Mitglieder der Ōmu Shinrikyō-Sekte waren bzw. sind davon überzeugt, dass sie mit gewaltsamen Aktionen die Welt vor noch Schlimmerem bewahren. Macht das die Taten dadurch idealistisch und ambitioniert? Oder wäre es hier vielleicht doch besser, wenn sie vielleicht idealistisch, aber bitte nicht ambitioniert handelten?
Selbiges ließe sich übrigens auch über Reichsbürger und sonstige Terroristen und Fundamentalisten sagen.
Was legt Bregman zugrunde, um trennscharf zu machen, was richtig und was falsch ist?

Abschließend kann ich feststellen, dass dies ein lesenswertes Buch ist, dass sich durch seinen Schreibstil wahrlich angenehm lesen lässt und es dem Leser ermöglicht, den Blick auf andere wegzunehmen und sein eigenes Leben zu hinterfragen. Bin ich wirklich auf der richtigen Spur und tue ich dafür genug? Oder teile ich nur Posts auf Instagram und gebe mich damit zufrieden? Engagiere ich mich aktiv? Oder rede ich nur nett und schaue am Ende von Demonstrationen aus auf die Menschen, die wirklich etwas verändern können, weil sie aktiv an Veränderungen mitwirken? Bin ich Mitglied einer demokratischen Partei und rette damit wirklich die Demokratie? Oder gehe ich mit Gleichgesinnten auf eine Demo, bei der wir uns in völliger Einigkeit am Ende wundern, warum nicht alle Menschen so denken wie wir?
Bregman hat dafür eine anstrengende und schmerzvolle Lösung, die aber jeden Menschen vorwärts bringt: Sie steht in diesem Buch!