Hmmmm...

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
sidecup Avatar

Von

Selten habe ich so lange mit mir gerungen, was ich von einem Buch halte, wie bei diesem Titel. Und zwischenzeitlich hatte ich schon überlegt, ob ich es etwas genervt weglege. Aber das Durchhalten lohnt sich.

Rutger Bregman hält uns den Spiegel vor: Wie nutzen wir unser eigenes Talent für die Gesellschaft? Wie stark kümmern wir uns um die Probleme der Gegenwart - als Einzelne (und als Privilegierte)?

Bregman zieht einen Bogen vom Kampf gegen die Sklaverei bis in die Gegenwart zu Herausforderungen von KI, Epidemien und Klimasünden. Dabei bringt er immer wieder Beispiele Einzelner, die als moralische Vorkämpfer andere sensibilisiert, angestoßen und letztlich großes bewirkt haben - manchmal auch erst nach ihrem Tod.
Das Buch ist ein Aufruf, sein Talent nicht zu vergeuden, sondern es für die Menschheit, die Erde und die Nachkommen einzusetzen.
Und nach Bregman vergeudet der Großteil der Bevölkerung sein Talent.

Die moralische Zeigefinger hat mich manchmal gelinde gesagt genervt. Insbesondere weil ich mich öfter gefragt habe, ob eine Gesellschaft voller moralischer Ambitionalisten überhaupt funktionieren könnte. Braucht es nicht auch jene, die vermeintlich unwichtige Dinge entwickeln (wie Abomodelle für Rasierklingen, ein Beispiel aus dem Buch)? Zumal viele der moralischen Vorreiter auch - und das unterschlägt Bregman auch nicht - nicht gerade sympathisch rüberkommen, sondern schon teils fanatisch ihre Ziele verfolgten. Ohne Rücksicht auf sich, ohne Genuss, und teils auch ohne Rücksicht auf Andere.

Und doch ist das Buch stark. Muss ein philosophisches Buch, muss ein moralisches Buch nicht auch nerven? Es muss doch den Finger in die Wunde legen, zum Nachdenken und Reflektieren anregen - und das schafft Bregman auf jeden Fall. Und das ist auch sein Ziel: Mit dem Buch andere dazu anzuschubsen, mehr moralische Ambition zu leben und sein Talent für sinnvolle Sachen zu nutzen. Getreu dem Motto des Buches, dass es nur eine Person braucht, die andere auffordert - und dann oft in einem Dominoeffekt viele sich anschließen.

Bregmans Stärke ist dabei die des Historikers - er unterfüttert seine Beispiele mit vielen historischen und philosophischen Anekdoten. Dabei liest sich das Buch leicht, wie ein Roman - und ist trotzdem keine leichte Kost. Die soll es aber auch nicht sein.
Nur der Titel... viel weniger sexy hätte man ein Buch nicht benennen können, und das Cover tut sein übriges. Ich hoffe nur, dass dies nicht potentielle Ambitionalisten abschreckt.