Nette Unterhaltung mit ernsten Hintergründen

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Kürzlich dachte ich bei irgend einer Sendung mal: „Wer ist denn die angeknipste Frau?“, dann die Erkenntnis: Ildikó von Kürthy … vor Jahren waren Bücher von ihr fast zwingender Lesestoff, dann ließ die Faszination nach – kann sie mich nun wieder mitreißen?

Die Geschichte handelt von Ruth, die gerade noch im Drogeriemarkt über Haarfärbemittel sinnierte, als ein zerrissenes Foto ihre Welt erschüttert. Sie ergreift die Flucht in die Vergangenheit, zurück zu ihren Wurzeln und begegnet dort ihrer Schwester Gloria (mit der sie jahrelang kein Wort gewechselt hatte), dem unter Wechseljahrsbeschwerden leidenden Erdal (nun ja, und seiner Cousine) und Rudi (der einen bösartigen Hirntumor hat). Eine bunte Gesellschaft, in der zahlreiche Fragen aufkommen und zu beantworten sind.

Mehr muss man zur Handlung gar nicht wissen, denn das Entscheidende an diesem Buch sind die aufgeworfenen Fragen: Warum reden die gegensätzlichen Schwestern nicht mehr miteinander? Welcher Verrat wiegt so schwer? Sollte man weitermachen wie bisher oder neu anfangen – und wenn wie? Wer ist man selbst – was ist einem selbst wichtig, wenn man mal auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nähme? Vor dieser Frage stehen alle Figuren von Kürthys hier irgendwie – am klarsten treten die Fragen natürlich bei Rudi hervor, der nicht mehr lange zu leben hat. Ohnehin gestaltet sie ihre Figuren mit sehr viel Liebe, wenngleich sie durchaus mit Gemeinplätzen spielt. Das Erzähltempo ist anfangs sehr hoch: von Kürthy schmeißt ihre Leser sehr unmittelbar in die Handlung, verlangsamt aber dann deutlich, ein bisschen wie ein Episodenfilm oder ein Kammerstück, streckenweise ziemlich überzeichnet. Typisch für die Autorin ist ihr witziger und durchaus selbstironischer Schreibstil (da sind es vorwiegend alltägliche Kleinigkeiten wie die Erkenntnisse Ruths über Haarfärbemittel), zunehmend treten aber Emotionen hinzu, auch eine gewisse Nachdenklichkeit, die frühere Bücher von ihr weniger hatten – die Autorin reift wohl langsam. Es geht um das Verlassen toxischer Beziehungen bzw. ungesunder Lebenseinsichten und den Mut zum Neuanfang. Nein, die Faszination der früheren Werke (als ich aber auch noch jünger war) stellt sich nicht mehr ein – dazu hat man vielleicht inzwischen zu viel selbst er“lebt“. Aber eine nette Unterhaltung mit ernsten Hintergründen, das ist „Morgen kann kommen“ allemal, daher aufgerundete 3,5 Sterne.