Was es bedeutet sich freizuschwimmen - ein grandioses Buch

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Dieses Buch ist absolut grandios - es ist feinfühlig und lustig, es ist tiefgründig und traurig und mit so viel Witz geschrieben, dass man es nicht aus der Hand legen kann und will. Ildiko von Kürthy schafft es in ihrem Roman, die Probleme genau auf den Punkt zu treffen und die Geschichte so vielfältig zu erzählen, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht! Der perfekte Roman, wenn man eine Geschichte zum Lachen und Weinen sucht, garniert mit Witz und Gefühl. Und nein, so rosarot wie das Cover ist, geht es nicht weiter.

Es ist der 15. Mai - ihr Hochzeitstag und 51. Geburtstag und für Ruth dreht sich das Leben von einer auf die andere Sekunde um 180 Grad. Sie flüchtet aus München und setzt sich ins Auto - es gibt nur einen Ort zu dem Sie möchte, das Haus „Ohnesorg“ - das Haus ihrer Großeltern und ein Ort voller Ruhe, Zuversicht und Erinnerungen - nur leider auch der Erinnerung an den dunkelsten Tag in ihrem Leben - ihre Hochzeit. Ihre Schwester, die damals scheinbar ihr Leben zerstört hat wohnt in diesem Haus, zusammen mit zwei Mitbewohnern - doch das Haus ist mehr, es ist ein Zufluchtsort für alle, die Hilfe, eine Flucht aus dem Alltag oder einfach etwas Ruhe brauchen. Und so wird auch Ruth in diesem Haus empfangen, als hätte es keine Vergangenheit gegeben. Doch diese holt sie ein, schneller als es ihr lieb ist.

Die Geschichte beginnt mit einem Knall, Ruth ist in der Drogerie und sieht einen Fotoabzug, den eine andere Frau vergessen hat. Auf dem Fotoabzug: Ruths Ehemann, in eindeutiger Pose… natürlich dreht sich Ruths Welt auf links. Zu Beginn der Geschichte hatte ich erwartet, dass es das klassische Dreiecks-Drama ist - betrogene Frau kämpft um ihren Ehemann und dann gibt es ein Happy End oder eben nicht. Doch weit gefehlt - hier geht es um so viel mehr. Direkt zu Beginn erfährt man, dass Ruths Selbstbewusstsein quasi nicht vorhanden ist - als Kind war sie die, die nicht auffallen wollte - ihr große Schwester war laut und unangepasst und der Vater das Familienoberhaupt, das keinen Widerspruch duldete. Als Ehefrau ist sie die Frau hinter ihrem Mann, hält ihm den Rück frei, vergisst aber sich selbst. Und genau das wurde ausgenutzt, aufs Schäbigste, was man sich vorstellen kann.

Die Geschichte von Ruhte, ihrer Schwester Gloria und die des Ehemanns Karl ist verwoben, und wie in einem Spinnennetz kommen immer weitere Charaktere hinzu, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, aber alle Teil der Geschichte sind. Und dieses „Jemanden kennen, der jemanden kennt, der wieder jemanden kennt“ gibt der Geschichte eine ganz neue Wendung.

Der Roman ist voller Gefühle - guter wie schlechter und durch die Erzählung aus verschiedenen Perspektiven der Figuren, bekommt der Leser einen Rundumblick und möchte Ruth so gerne an der ein oder anderen Stelle die Augen öffnen. Andererseits erfährt der Leser an keiner Stelle zu viel - man erfährt manche Dinge vor den Figuren, andere bleiben aber im Dunkeln.

Nicht zu vergessen der unnachahmliche Schreibstil von Ildiko von Kürthy, die es schafft, durch kleine Kunstgriffe, so viel Witz in die Geschichte einzubauen - und sei es nur, weil die Metal-Life-Coaches immer mit vollem Namen genannt werden. Die Figuren sind selbstreflektiert aber auch selbstironisch - die Geschichte ist ernst und handelt von einem furchtbaren Thema, aber sie wird nicht trist oder mit erhobenem Zeigefinger erzählt, sondern es wird klar gemacht, dass dies jeder Frau passieren kann, dass es nicht schlimm ist, dass man sich aber auch freischwimmen kann.

Die Geschichte dreht sich aber nicht nur um Ruth - da sind so viel mehr Charaktere die eindrucksvoll gezeichnet sind und deren Geschichten den Leser mitreißen. Da ist der gute Sozi, bei dessen Geschichte kein Auge trocken bleibt, die Geschichte der alleinerziehenden Mutter Fatma und natürlich Erdal, der als Paradiesvogel des Romans nicht fehlen darf.

Ich habe jetzt viele Punkte aufgezählt und könnte noch ewig so weitermachen. Vieles fehlt vermutlich, aber dieser Roman hat mich on der ersten bis zur letzten Seite berührt. Ich hatte Spaß am Lesen, habe geweint und mit den Figuren mitgelitten. Aber die positive Haltung, die jede der Figuren zu jedem Zeitpunkt verströmt, ist einfach grandios umgesetzt und zaubert einem beim Lesen ein Lächeln ins Gesicht.