Eine Welt ist nicht genug

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carathis Avatar

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Leider ist das reale Leben kein Spiel, das man, immer wenn man es braucht, von vorne starten kann. Diese harte Lektion lernen Sadie und Sam, die Hauptprotagonisten aus "Morgen, morgen und wieder morgen" am eigenen Leib. Beide sind sie brillante Köpfe, kreativ und hoch-intelligent. Und doch sehr verschieden. Manchmal wirken sie wie eine Einheit, ein anderes Mal wie zwei entgegengesetzte Pole.
Sadie und Sam lernen sich zufällig im Spielzimmer eines Krankenhauses kennen. Der junge Sam, der jahrelang traumatisiert mit keiner Menschenseele gesprochen hat, findet durch Sadie und ihre gemeinsame Leidenschaft zu Games zurück ins soziale Miteinander. Und trotzdem verlieren sie sich bald darauf durch ein blödes Missverständnis oder Nicht-Gesagtes aus den Augen.
Dieses nicht Aussprechen begleitet beide leider ihr ganzes Leben.

Genau diese nicht vorhandene Perfektion der Beziehung macht das Gespann für mich so real, dass ich das Buch kaum aus den Händen legen konnte. Die Sehnsucht und das Bedauern spiegelt sich in so vielen Leben wider, die eben in der Wirklichkeit oft kein Happy End finden. Sam ist ein total Nerd, der sich auch Gefühle am liebsten rational erklärt. "Die Zeit war mathematisch erklärbar; es war das Herz - also jener Teil des Gehirns, für den das Herz steht - , das Rätsel aufgab." Das macht ihn zwar sympathisch, aber oft denkt man sich einfach: oh Mann, jetzt gib dir einen Ruck.
Doch nicht nur die Hauptfiguren berühren. Gabrielle Zevin hat auch die Nebenfiguren so toll dargestellt, dass man sie spüren und mit ihnen mitfühlen kann.

Zevin beweist ihre große Kreativität und Gaming-Liebe in der Kapitel-Gestaltung. Und natürlich in den Entwürfen der Spiele, die Sadie und Sam im Laufe der Geschichte entwickeln. Total vertrackte, liebevolle, unangepasste Spiele. Man muss selbst kein Spieler sein, um der Geschichte folgen zu können. Aber es schadet definitiv nicht, von den ein oder anderen Spielen oder Spiel-Gestaltungen bereits etwas gehört zu haben.

Der große Sog, den die Story mit der Zeit entwickelt, eingebettet in die Game-Rahmen, schreit förmlich danach verfilmt zu werden. Obwohl sich Motivation und Hintergründe der Protagonisten erst mit der Zeit offenbaren, ist man von Anfang an dabei. Die Informationshäppchen sind gut dosiert, ebenfalls ausgewogen wechseln sich angenehme mit aufregenden Szenen ab. Einziges Manko in meinen Augen: eine Trigger-Warnung bezüglich Amok-Läufen wäre mehr als angebracht.

Für mich ist dieses Buch ein absolutes Highlight, gerade weil es die Grenzen der typischen Genres sprengt. Es ist sprachlich hervorragend, gar nicht platt, wie manche vielleicht bei dem Thema erwarten würden und vielseitig.
Absolute Leseempfehlung.