Albanischer Familienepos

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Mit seinem Roman „Morgen und für immer“ spannt der albanisch-italienische Songwriter Ermal Meta einen Bogen vom Albanien während des Zweiten Weltkrieges über die Zeit der Diktatur unter Enver Hoxha bis in die 90er Jahre. Ich habe beim Lesen sehr viel über die Geschichte Albaniens erfahren, einem Land, welches in der zeitgenössischen Literatur leider noch ein Nischendasein fristet.
Die Geschichte beginnt 1943 in einem kleinen Bergdorf im Norden Albaniens. Kajan lebt bei seinem Großvater – seine Eltern engagieren sich im Widerstand gegen die deutschen Besatzer – als der deutsche Deserteur Cornelius bei ihnen auftaucht. Kajans Großvater gewährt ihm Unterschlupf und im Gegenzug bringt Cornelius dem Jungen Klavierspielen bei. Die Liebe zum Klavier lässt Kajan nicht mehr los, nach dem Krieg wird er ein gefeierter Pianist. Als er Elizabeta kennenlernt, scheint sein Glück perfekt. Doch Kajans Mutter, eine überzeugte Kommunistin, ist von dieser Liebe gar nicht begeistert, da Elizabetas Vater sich einst gegen das Regime ausgesprochen hat. Und so verschwindet Elizabeta plötzlich, ohne ein Wort. Für Kajan beginnt nach dem Verlust dieser großen Liebe eine abenteuerliche Zeit. Er flieht über die DDR nach Westberlin und in die USA. Aber auch dort ist sein Glück nur von kurzer Dauer und er kehrt nach vielen Jahren nach Albanien zurück. Ob er dort seine Erfüllung findet, lasse ich an dieser Stelle noch offen, um nicht zu spoilern.
Die Themen und die Darstellung der geschichtlichen Hintergründe, welche im Roman zur Sprache kommen, haben mir sehr gut gefallen. Man bekommt einen guten Eindruck von der Stimmung und den politischen Gegebenheiten in Albanien. Wie schon erwähnt, habe ich mich nie so richtig mit diesem Land beschäftigt, deshalb habe ich viel Neues gelernt. Die Schreibweise ist eher ruhig und melancholisch, was ich auch sehr angenehm fand.
Was mir allerdings die Freude am Lesen etwas getrübt hat, ist, dass ich praktisch keinen emotionalen Zugang zu den Figuren fand. Für mich blieben alle beschriebenen Personen – inklusive Kajan – seltsam blass. Wahrscheinlich lag es daran, dass auf diesen 500 Seiten wahnsinnig viel passiert, so dass meiner Meinung nach die Entwicklung und Beschreibung der einzelnen Charaktere auf der Strecke bleibt. Gegen Ende war mir die Fülle an sich überschlagenden Ereignissen fast schon zu viel, so dass die ganze Geschichte unglaubwürdig wurde. Für mich hat sich eine eher negative, triste Stimmung durch das ganze Buch gezogen und letztendlich finde ich diese Sichtweise zu einseitig und auch zu eintönig und klischeehaft.
Ich habe beim Lesen definitiv meinen Horizont erweitert, hätte mir jedoch eine ausgereiftere Charakterzeichnung gewünscht, um das Leseerlebnis perfekt zu machen.