Auf der Suche nach einem Toten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
mammutkeks Avatar

Von

Die junge Lilya Wasserfall ist eigentlich nicht auf den neuen Auftrag eingestellt, den sie bekommt. Sie hofft darauf, bei der nächsten großen Sabotageaktion des Widerstands gegen die britische Mandatsmacht in Palästina dabei zu sein, wird nun aber auf die Suche nach einem angeblich toten Wissenschaftler ins Nachkriegsdeutschland geschickt. Raphael Lind ist der Gesuchte: Ein jüdischer Wissenschaftler, der nach Angaben der Briten im Konzentrationslager ermordet wurde. Sein Bruder, der Schriftsteller Elias Lind, der in Jerusalem lebt, glaubt jedoch nicht daran, dass Raphael wirklich verstorben ist. Sein Anhaltszeichen ist ein Foto in einem Buch, das einmal dem Bruder gehört hat.
Lilya reist nun durch die Nachkriegswelt - und erlebt auf ihren Stationen in London, München, im Displaced Persons Camp Föhrenwald in Bayern, in Offenbach, Berlin und im ehemaligen KZ Bergen-Belsen die deutlichen Kriegsfolgen: Zerstörung, Tote, Wiederaufbauversuche, die Gesetze der Alliierten, Flüchtlinge, ehemalige KZ-Häftlinge und sogenannte Displaced Persons in Lagern. Diese werden zum einen von Stephan Abarbanell in seinem Debütroman "Morgenland" gut beschrieben, zum anderen gibt es am Ende des Buches einige illustrierende Fotos.
Bei ihren vielfältigen Forschungen kommt Lilya auch der Zufall zu Hilfe. In London lernt sie die junge Amerikanerin Cordelia Vinyard kennen, die sie in ihre Arbeit einweisen sollte, schnell aber zur Freundin wird, die auch in Notsituationen aktiv ist. Eine zweite große Stütze ist David Guggenheim, der das DP-Camp Föhrenwald leitet. Auch Lev, der unbeholfene Fahrer des Camps, wird schnell zum Freund und zum Helfer von Lilya.
Spannung entsteht, weil Lilya offenbar nicht alleine nach Raphael Lind sucht, sondern auch die Geheimdienste der Alliierten. Sie selbst wird durch ihre Nachforschungen zum Opfer von Anschlägen, kann sich aber durchsetzen. Interessant wird "Morgenland" durch die detaillierte und gute Personengestaltung. Die Charaktere wirken echt und nachvollziehbar, insbesondere die Hauptfigur Lilya ist mit ihren Zweifeln, mit ihren Erinnerungen an den durch eine Bombe getöteten Liebhaber Yoram, mit den Hoffnungen auf eine neue Liebe und den sich entwickelnden Freundschaften, ist gut und sympathisch gezeichnet.
Das Buch punktet durch die anhängenden Bilder und die Literaturempfehlungen. Mir persönlich wäre nach Titel, Coverfoto und Klappentext eine intensivere Auseinandersetzung mit dem "Palästina-Konflikt" lieber gewesen, aber auch die Geschichten rund um die vielfältigen Probleme im Nachkriegsdeutschland sind gut recherchiert. Ich hatte nur mit einer anderen Schwerpunktsetzung gerechnet. Zudem wäre ein Abkürzungsverzeichnis hilfreich gewesen, die verschiedenen Organisationen der Alliierten werden zwar meines Erachtens immer einmal kurz erklärt, aber bei den späteren Erwähnungen nicht mehr.