Komplex und vielschichtig, mit kleinen Schwächen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
yellowdog Avatar

Von

Morgenland ist ein außergewöhnliches Buch, weil Stephan Abarbanell für seinen komplexen und ambitionierten Roman die Perspektive einer jungen Frau findet, die den Blick von außen hat. Die in Palästina geborene Lilya Wasserfall tritt 1 Jahr nach Kriegsende , also1946, eine Reise über England nach Deutschland an und spürt der Vergangenheit nach, konkret auf der Suche nach einem verschollenen Wissenschaftler. Raphael Lind! Lilya trifft in Jerusalem vor ihrer Abreise seinen Bruder Elias, der Raphael seit 16 Jahren nicht mehr gesehen hat und doch glaubt, dass er noch lebt.

Dieser Beginn, den man aus der Leseprobe kennt, ist ziemlich stark und leidenschaftlich. Nicht jedes der folgenden Kapitel kann die Erwartungen, die durch diesen Start geweckt wurden, voll und ganz Einlösen. Dennoch, man begleitet Lilya nahe auf ihrer Reise.
Ihre Stationen (Jerusalem, London, Bayer, Offenbach, Berlin und zuletzt vor ihrer Rückkehr sogar Bergen-Belsen ) werden hinten im Buch mit ein paar Fotos und Kommentaren erläutert. Das hilft die Atmosphäre der Zeit und der Orte zu verstärken. Morgenland ist ein stimmungsvolles Buch geworden.
Stephan Abarbanell hat anscheinen viel recherchiert und man erfährt einiges. Wie zu lesen ist, hat er viele Reisen nach Israel unternommen und seiner eigenen Familiengeschichte nachgeforscht. Das inspirierte ihn offenbar zu diesem Roman.

Teilweise spürt man dadurch aber auch, dass es sich um ein Konstrukt handelt. Der Roman bleibt streckenweise fast zu sachlich, und dabei wenig lebendig. Man kann dem Buch nicht vorwerfen, das es zu wenig Tempo hat, aber trotzdem fragte ich mich immer wieder, wann geht es den jetzt endlich so richtig los.

Der Roman ist mit über 400 Seiten umfangreich, aber durch die Vielzahl an Orten, wirkt er doch manchmal knapp. Einige Abschnitte hätte also noch ausführlicher sein können.
Auch Lilya selbst hätte als Figur noch mehr in die Tiefe gehend gestaltet werden können. Ihre Beziehung zu Lieutnant David Guggenheim bleibt relativ blass, trotz guter Ansätze.

Davon abgesehen konnte mich die Handlung sehr interessieren. Selbstverständlich ist das Buch lesenswert.
Was Lilya am Schluß alles entdeckt, möchte ich hier nicht erwähnen, um nicht vorzugreifen. Ich halte es dem Autor sehr zu Gute, dass er keinen unterhaltenden Thriller geschrieben was mit diesem Stoff auch möglich gewesen wäre. Das Buch ist stattdessen ernsthaft und vielschichtig geworden.