Morgenland

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lunamonique Avatar

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„Morgenland“ ist der Debüt-Roman des Autors und Kulturchefs des rbb Stephan Abarbanell. Lilya Wasserfall erhält überraschend den Auftrag, das Schicksal eines Wissenschaftlers in Deutschland aufzuklären. Ist Raphael Lind wirklich tot, so wie die Briten behaupten?

1946, Lilya Wasserfall arbeitet in Palästina für Shimon Ben Gedi. Unter dem Tarnmantel der JOINT, einer Hilfsorganisation für jüdische Flüchtlinge, soll Lilya die Situation in dem Lager Föhrenwald auskundschaften. Ebenso geheim ist ihre zweite Mission. Elias Lind will den Tod seinen Bruders Raphael nicht glauben. Es gibt verschlüsselte Hinweise, dass er noch lebt. Für Lilya kommt die Reise nach Deutschland zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Elias kann ihre Neugierde wecken. Die Reise beginnt unter einem ungünstigen Stern. Eine Buspanne in einer gefährlichen Gegend steigert die Angst.

Anfangs fällt die Orientierung schwer. Welchen geheimen Job übt Lilya für Shimon Ben Gedi aus? Was ist in Palästina geplant? Warum will Shimon Ben Gedi sie unbedingt außer Landes haben? Wer keine geschichtlichen Kenntnisse über die Nachkriegszeit, Palästina und die britischen Mandatsmacht hat, findet sich schwer zurecht. Es hilft in diesem Fall ganz nach hinten zum Nachwort vor zu blättern und die Kenntnisse vorm Lesen zu erweitern. So fällt der Einstieg wesentlich leichter. Ein Hinweis darauf gleich zu Anfang wäre passend gewesen. Die Buspanne lässt Spannung entstehen. Wer ist der Fremde, der plötzlich in Aktion tritt? Nicht die einzige Begegnung die Fragen aufkommen lässt. In der Nachkriegszeit ist alles auf wackeligen Grund gebaut. Ohne die richtigen Kontakte läuft nichts. Lilya darf eigentlich niemanden vertrauen. Sie lernt Menschen kennen, die Zweifel und Misstrauen aus dem Weg räumen. Die Situation im Lager Föhrenwald ist schlimmer als gedacht. Lilya fällt es schwer, Kommentare runterzuschlucken. Ihre Schwächen machen sie sympathisch. Was ist derweil in Palästina geschehen? Wo kann sie der Sache mehr dienen? Das Rätsel um die Pläne von Shimon Ben Gedi im Heimatland hält ebenso an wie das ungeklärte Schicksal Raphael Linds. Spannung kommt sporadisch mit dem seltsamen Fremden auf. Wird Lilya beschattet? Die Informationen über die Zustände in der Nachkriegszeit sorgen für Beklemmung. Schwierig die verschiedenen Organisationen richtig einzuordnen und zu behalten. Welche Ziele haben die Briten? Inwieweit wird es helfen, Druckmittel gegen sie zu sammeln? Erst ab dem zweiten Drittel fällt es leichter den Überblick zu gewinnen. Nicht immer ist die Atmosphäre wirklich greifbar. Lilya hält an ihrer Mission fest. Sturheit und Eigensinn, aber auch Mut und Durchsetzungsvermögen zeichnen sie aus. Interessant sind die unterschiedlichen Reisestationen von London bis Lüneburg. Im Focus der Geschichte stehen nicht die Spannung und ein raffinierter Plot sondern die Besonderheiten der Nachkriegszeit, die vielen Schicksale, Verschwundene, Totgeglaubte, auseinander gerissene Familien. Am Ende von „Morgenland“ kommt es zu einer überraschenden Auflösung.

Das Cover entführt mit einer Szene in eine andere Zeit. Der Titel in Großbuchstaben zieht zuerst alle Blicke auf das Buch. „Morgenland“ entwickelt nicht die erwartete Intensität, berührt aber mit Lilyas Nachforschungen. Eine unvorhergesehene, langsam aufflammende Liebe wird zur Randgeschichte. Aus einem Brief auf Seite 425 lässt sich auch eine Botschaft ins Heute ziehen.