Morgenland

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Morgenland - das ist nicht nur das Land Palästina im Nahen Osten, es ist auch das Land auf das sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Hoffnung so vieler Menschen, gerade dem Grauen inmitten Europas entronnen, stützt, die Hoffnung auf ein besseres, ein lebenswertes Morgen, frei von Verfolgung, endlich Heimat.
Doch es ist auch die Zeit der britischen Mandatsmacht, mit ganz eigenen Interessen, mit Einreisebeschränkungen auch für jene, die in ihrer alten Heimat alles verloren haben. Und es ist die Zeit verstärkter Untergrundaktivitäten, z.B. der jüdischen Hagana gegen die Briten.
Auch die junge Lilya Wasserfall, deren Eltern schon früh nach Palästina emigriert sind, dort nie so ganz heimisch wurden, da sie "dachten Europa einfach dorthin mitnehmen zu können" ist an der Untergrundarbeit beteiligt. Ihr Quasi-Bruder und Geliebter Yoram ließ bei einem Bombenattentat das Leben, in ihrer Trauer will sie sich noch mehr engagieren.
Stattdessen wird sie von ihrer Organisation ins Nachkriegsdeutschland geschickt. Im Namen einer jüdischen Hilfsorganisation soll sie vor Ort im Lager Föhrenwald die Situation der jüdischen Überlebenden untersuchen und nebenbei noch etwas über den Verbleib eines jüdischen Wissenschaftlers herausbekommen.
Dieser Raphael Lind wurde von den Briten für tot erklärt, aber sein Bruder Elias, ein bekannter Schriftsteller, meint, einen untrüglichen Beweis dafür zu haben, dass er noch lebt.
Lilya macht sich über London auf den Weg nach München.
Dabei erfährt sie, dass Raphael an einem brisanten Projekt arbeitete. Doch weder ob für die Nazis oder für die Briten, noch was aus ihm nach 1941 geworden ist, ist klar. Lilya verfolgt jede sich ihr bietende Spur, wobei auch die ehemalige Bibliothek von Raphael und Elias Vater eine Rolle spielt.
Der Leser begleitet Lilya auf ihrem beschwerlichen Weg durch das zerstörte und verzweifelte Deutschland, dabei sind neben München und Föhrenwald auch Offenbach am Main, Berlin, der Kibbuz Nili im Landkreis Fürth und Lüneburg Stationen, sie trifft auf Menschen, die ihr helfen und nahe kommen, aber auch auf solche, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass sie weiter nach der Wahrheit über Raphael Lind sucht. Lilya gerät in Lebensgefahr.
Die Reise und Suche der jungen Frau aus Palästina wird von Stephan Abarbanell sehr spannend und atmosphärisch geschildert. Eine Liebesgeschichte schien dem Autoren leider unumgänglich, aber sie bleibt bis kurz vor Ende zum Glück ziemlich im Hintergrund. Erst dann gerät das Buch ein wenig in Kitschgefahr.
Das verzeiht man dem Buch aufgrund seines klaren Erzählstils und vor allem der geschickten Vermittlung einer derartigen Fülle an interessanten Informationen aus dem Jahr 1946, wie sie selten in einem literarischen Werk vermittelt wurden. Die Situation in Deutschland wird auf beklemmende Weise anschaulich.
Leider greift der Autor am Ende des Buches dann doch ein wenig zu tief in die Kitschkiste und meint vor allem, am Ende alle Fäden der Geschichte noch einmal zusammenführen zu müssen. Das "große Finale" wirkt dann etwas zu gewollt und damit trivial. Das hat dieser über weite Strecken hoch spannende und ungemein informative, dabei hoch unterhaltsame Roman eigentlich nicht verdient. Dennoch gibt es eindeutig eine Leseempfehlung!