Die knallharte Wahrheit

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McGowan hat ein sehr intensives, teilweise recht wütendes Buch geschrieben, das ihre komplette Biografie enthält und viele unschöne Einblicke in die Sekten, in denen sie sich zeitweise befand. Die größte davon: Hollywood. Am Ende schlug ich das Buch zu mit dem Gedanken: Gott, ich hasse es. Nur um sofort zu denken: Gott, ich liebe es. Ja, es ist polemisch, frotzelig, sehr direkt, aber es enthält viele Wahrheiten und wer sich die Mühe macht, zwischen den Zeilen zu lesen, wird so gefesselt sein, dass er das Buch kaum aus der Hand zu legen vermag. Vor allem am Ende, wenn Teil II beginnt (tatsächlich im letzten Drittel) rattert dann das eigene Gedankenkarussell so schnell es kann; "warum habe ich das noch nie gesehen?".
McGowan zeigt durch ihre eigene Geschichte auf, was an der derzeitigen Gesellschaft was Frauen betrifft nicht rund läuft. Dabei beginnt sie in ihrer Kindheit. Geboren in Italien, lebten ihre Eltern in einer Sekte, in denen Kindesmissbrauch legitimiert wurde, was ihren Vater dazu brachte, eben diese Sekte mit seinen Kindern zu verlassen. Leider war er deswegen kein netter Mann und machte aus seinem Frauenhass keinen Hehl. Auch die Mutter geriet nach der Trennung von ihm immer an die merkwürdigsten Männer, die es nie gut mit den Kindern meinten. Zwischen den Eltern hin und her getrieben, landete die Autorin dann auf der Straße, wo sie sich eine Weile allein durchschlagen musste. Sie spielte dann in einigen Nebenrollen und lernte dadurch auch einige Männer kennen. Die Beziehungen, die sie Zeit ihres bisherigen Lebens führte, standen nie unter einem guten Stern und McGowan beschreibt das, was sie in diesen erlebt hat, recht eindrücklich.
Dann folgt die kurz beschriebene Episode mit "dem Monster", dem großen Giganten, der inzwischen von einer fast unglaublich hohen Anzahl von Frauen angezeigt worden ist. Danach lief es nicht mehr. Sie hatte Alpträume und die Eindrücke der Tat, wie es scheint, bis heute nicht verwunden. Schnell stand sie danach auf einer schwarzen Liste, die ihr neue Jobangebote vorenthielt. Das ehemalige ungeliebte Straßenkind mit großer Angst davor, wieder vor dem Nichts zu stehen, hat sich dann auf viele gefährliche Wege begeben, die McGowan ebenfalls effektvoll schildert. Die Frage, weshalb sie sich nicht einfach einen normalen Job gesucht hat, als Verkäuferin oder in einem Beauty Salon, stand für mich mehrmals im Raum. Muss man nicht sadomachistisch veranlagt sein, wenn man sich immer und immer wieder auf so einen Mist einlässt? Die Antwort gibt McGowan selbst: Sie hat es nie anders gelernt oder vorgelebt bekommen. Sie wusste nicht, dass in ihr eine starke, selbstbewusste Frau steckt. Sie wusste nicht, dass sie keinen Mann an der Seite braucht. Sie wusste nicht, dass sie Rechte als Mensch besitzt. Sie wusste sehr vieles nicht.
Warum nicht?
Die Frage steht auch zur Debatte. Da es um ihr Leben in und mit Hollywood geht und sie in vielen kleinen Geschichten die Alltäglichkeiten an den verschiedensten Sets schildert, ist auch hier die Antwort nicht schwer zu erraten. Die meisten Filme wurden und werden von weißen heterosexuellen Männern gemacht, die in jenen das Widergeben, was sie selbst von der Welt wissen und verstehen. Wir alle werden von den Bildern, den Geschichten, eben den soziologischen Mustern beeinflusst ob wir das wollen oder nicht. Etwas, das auch mich schon sehr lange umtreibt. Als kürzlich die Frage im Raum stand, ob gewisse Bücher, in denen Mädchen und Frauen gequält werden, auf den Markt gehören, hieß es immer wieder, das sei ja nur Phantasie und nicht so schlimm. Ich begreife nach wie vor nicht, wie man das so lax abtun kann, denn alles, was uns umgibt, formt uns - auch wenn uns das nicht immer gleich bewusst ist. Auch McGowan hat am Ende ein Beispiel eines Superheldenfilmplakats parat, auf dem die einzige Frau von einem Mann gewürgt wurde. Auf ihre Beschwerde hieß es, die Frau sei blau, da müsse wohl jeder drauf kommen, dass das nur Phantasie sei. Nein, ist es nicht, verdammt! Ob die Frau blau, grün, weiß, gelb oder lila ist, spielt keine Rolle! Die Macher jedenfalls zogen zurück und tauschten die Plakate aus.
Ich gebe zu, McGowan hat einen Nerv bei mir getroffen. In den Büchern, die ich ab und an lese, werde ich immer wieder - und das eben leider gerade bei den sehr jungen Autorinnen - mit extrem frauenfeindlichen Geschichten (Frauenroman, Liebesroman, erotischer Roman, Urban Fantasy) konfrontiert, bei denen die Prota alle möglichen Quälereien aushalten muss, die am Ende aber trivialisiert werden, da sie ja ihren "Mann fürs Leben" gefunden und es sich somit ja "gelohnt" hat (viele der Quälereien stammen oft von genau diesem Mann, der aber zumindest immer viel Geld besitzt). Und dieses Zutreiben der jungen Mädchen und Frauen auf nur dieses eine Ziel - nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Märchen(adaptionen), die sich nicht an die Originalmärchen, sondern an die verklärten Disney-Versionen halten (Stichwort: Gewinne den Prinzen) - macht es im realen Leben für alle Frauen so gefährlich. Etwas, das anhand dieser Biografie nur allzu deutlich gezeigt wird, in all der Widerlichkeit, die dem Thema eben innewohnt.
Aber auch Jungen und Männer sind von eben diesen Filmen und Mustern beeinflusst worden. Nicht zuletzt von John-Wayne-Filmen, die den harten Kerl markiert haben, dem es nachzueifern galt. Oder, fragt McGowan, hast du dich je gefragt, warum der durchschnittlichste Typ ohne erkennbare Qualifikationen, der quasi meist eher durch Glück oder das Können anderer am Ende immer gewinnt und die heiße Braut als eine Art Trophäe nach Hause bringen darf? Ja, ich schon.
Auch Rose McGowan sagt viele richtige Dinge dazu. Wir glauben alle, das ginge uns nichts an, dabei werden wir alle täglich damit konfrontiert. Und es sind ja nicht nur die Filme, es geht in anderen ähnlichen Branchen (z.B. Musik) nicht anders zu. Allerdings merkt sie auch an, dass der Filmbranche ein Kollaps bevorstehe. Es liefe nicht mehr so. Die alten Muster wirken nicht mehr, weil gerade die früher angesprochenenen männlichen Zuschauer wegbleiben und es die weiblichen sind, die mehr ins Zentrum der Macher rücken müssten, weil sie noch gern Geschichten konsumieren. Wer aber nie gelernt hat, deren Wünsche, Träume, Ziele zu erkennen ... und fällt es uns Frauen nicht langsam selbst schwer, wenn wir immer wieder mit Dingen konfroniert werden, bis wir sie selbst glauben?: Frauen kaufen viele Schuhe. Frauen können nicht einparken. Gewalt gegen Frauen ist so omnipräsent, dass sie eigentlich schon gesellschaftsfähig geworden ist. etc.
Rose McGowan sagt: Stopp! Dinge, über die nie gesprochen wurde, müssen endlich auf den Tisch gelegt werden. Nur wenn das Problem benannt wird (gewusst hat es scheinbar ja jeder), kann etwas dagegen unternommen werden. Nur muss eben einer damit anfangen. Inzwischen werden die kritischen Stimmen immer lauter und es ist zu hoffen, dass sich etwas mehr bewegt, als die Social Media Welt. Sollte das passieren, könnte es auf uns alle Auswirkungen haben, weshalb wir auch alle mitwirken sollten. Wenn es zu weit geht, schalte ab. Was nicht konsumiert wird, wird nicht wieder und wieder neu verfilmt. Wenn Du in der Öffentlichkeit stehst (z.B. bloggst), hinterfrage, was Dir in Buch, Film, Musik vorgesetzt wird, hör auf, Werbung für die falschen Dinge zu machen, nur weil sie gerade aktuell und "in" sind. Und wer weiß, vielleicht gibt es dann keine Zwölfjährigen mehr, die sich fast zu Tode hungern oder unters Messer legen. Frauen, die nicht jahrelang bei einem Mann bleiben, der sie misshandelt, nur weil "die Gesellschaft" das so von ihnen erwartet. Modevorschriften, die gegen alle guten Sitten verstoßen. Frauen, die lieber hübsch als schlau sein wollen (auch wenn sie beides könnten). Und noch so viel mehr.
Wer nun nur zu dem Buch greift, weil er gern die Serie "Charmed" gesehen hat und Rose McGowan darin als vierte Halliwell-Schwester mochte oder wer mehr zum "Monster" wissen will, der wird enttäuscht sein. All diese Dinge finden Einzug in "MUTIG: Das Enthüllungsbuch aus der Traumfabrik Hollywoods", ergeben aber erst einen Sinn, wenn man die gesamte Biografie gelesen hat. Einblicke hinter die Kulissen gibt es zuhauf - und es ist eindeutig: Es muss sich etwas ändern.
Danke für dieses mutige Buch und die vielen Denkansätze.