finde den Mörder

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Wir sind die Summe unserer Erfahrungen. Ein ganzes Leben lang werden wir von äußeren, sowie inneren Einflüssen geprägt und geformt. Umso erstaunlicher ist es, dass unser Charakter bereits in den ersten drei Lebensjahren festgelegt wird. Wie wir sind hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Nicht nur unsere genetischen Anlagen, sondern auch die Familiären Umstände in denen wir aufwachsen beeinflusst unsere Persönlichkeit. Ein liebevolles Elternhaus, in welcher Konstellation auch immer dieses beschaffen ist, kann uns den Weg zu einer ausgeglichenen Persönlichkeit ebnen. Doch wo geht die Reise unseres Ichs hin, wenn es kein liebendes Elternhaus gibt, wenn die Kindheit geprägt ist von Vernachlässigung, physischer oder psychischer Misshandlung? Starke traumatische Ereignisse in den ersten Lebensjahren können zur Veränderung bestimmter Gehirnstrukturen führen, somit die
Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen und den Grundstein für eine psychische Störungen legen. Die Menschliche Psyche und wie sich eine extreme Kindheit auswirkt, bilden den Motor der Handlung in Nele Neuhaus Kriminalroman „Muttertag“. Dem nunmehr neunten Fall des Ermittler-duos aus Hofheim, bestehend aus Pia Sander und Oliver von Bodenstein.

Zwei Wochen lag der achtzigjährige Theodor Reifenrath unentdeckt tot in seinem Haus. Das er einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel können die beiden Kommissare Pia Sander und Oliver von Bodenstein nicht ausschließen. Auch eine Obduktion kann dies nicht mit Sicherheit klären. Der zurückgezogen lebende Mann bleibt allerdings nicht der einzige Tote. Durch Zufall entdeckt Pia im Hundezwinger die menschlichen Überreste einer Frau die bereits vor vielen Jahren als Vermisst gemeldet wurde. Zwei weitere Leichen, die unter dem Betonierten Zwinger lagen werden geborgen. Auch bei ihnen handelt es sich um schon seit Jahren vermisste Frauen. Der Corpus Delicti scheint das einzige zu sein das die drei Frauen miteinander verbindet. Lebendig wurden sie in Folie gewickelt und dann, wehrlos wie sie waren ertränkt und später eingefroren. Als ein weiteres weibliches Opfer gefunden wird, dass dem Mörder zugeschrieben werden kann, scheint es den Ermittlern recht abwegig, dass es der alte Mann war, der die grausamen Taten verübt haben soll. Doch in welcher Beziehung stand Theodor Reifenrath mit den Morden? Wusste er davon und hat sie gebilligt, oder gehen diese Taten doch auf sein Konto und nun gibt es jemanden der seine Mordserie weiterführt? Pia und Bodenstein erfahren während ihren Ermittlungen einiges über das Ehepaar Reifenrath. Über dreißig Jahre nahmen sie Kinder aus Heimen bei sich auf, um ihnen ein vermeintlich schönes zuhause und eine liebende Familie zu bieten. Doch für die Kinder, die bei dem Ehepaar aufwuchsen waren es Jahre der Angst und Demütigung.

„Wenn man etwas ausgefressen hatte, tauchte sie einen mit dem Kopf ins Badewasser, bis man glaubte, ertrinken zu müssen, und vor Angst in die Hose machte. Danach musste man das Bad putzen und die ganze Nacht mit nassem Schlafanzug im Flur stehen. Hin und wieder sperrte sie einen auch in ein finsteres Erdloch, nur mit einer Flasche Wasser. Das Schlimme war, dass man nie genau wusste, woran man bei ihr war. Sie konnte fröhlich und nachsichtig sein und in der nächsten Sekunde rastete sie ohne offensichtlichen Grund völlig aus. Wir Kinder waren ihr ausgeliefert.“

Für die Dorfbewohner waren die Reifenraths Heilige, denn sie nahmen stets die Kinder bei sich auf, bei denen die Aussicht auf eine Adoption aussichtslos schien. Doch was hinter geschlossenen Türen vor sich ging hat niemand im Dorf geahnt und will auch jetzt niemand wahrnehmen. War es also eines der Reifenraths-Kinder das auf Grund der jahrelangen Schikane und Qual zu einem Menschen herangewachsen ist, der diese sadistischen Morde verübt hat und warum mussten ausgerechnet diese Frauen sterben?

„Im Gegensatz zum Massenmörder, dem die Identität seines Opfers gleichgültig ist und der jeden umbringt, der ihm über den Weg läuft, wählt der Serienmörder seine Opfer gezielt aus. Die Viktimologie, also die Beziehung zwischen Täter und Opfer, ist ein äußerst wichtiger Bestandteil der Fallanalyse. Sie sollten sich deshalb fragen: Was hat das Opfer beschäftigt? Was war ihm wichtig? Wie kann daraus eine Beziehung zum Täter entstanden sein? Was hat das Opfer für den Täter interessant gemacht?“

Zu etwa der gleichen Zeit ist die junge Fiona Fischer auf der Suche nach ihren Wurzeln. Denn die Frau die sie einundzwanzig Jahre lang für ihre Mutter gehalten hat, ist nicht ihre biologische Mutter. Doch offiziell wurde Fiona nie von ihr adoptiert und auch sonst findet sie keine Hinweise darauf wer ihre leibliche Mutter sein könnte. Ihre Recherchen führen sie nach Frankfurt und zu einer Frau die mit Fionas Geschichte eng verbunden ist. Doch was sie ihr erzählt, klingt in Fionas Ohren so abstrus, das sie die Geschichte kaum fassen kann. Dennoch tragen Fionas Bemühungen Früchte, sie erhält den Namen ihrer Mutter.

Diese Randgeschichte, die augenscheinlich in keinem Zusammenhang mit dem äußeren Handlungsgeschehen steht, fließt erst im laufe des Buches ganz allmählich in die Handlung mit ein. In „Muttertag“ erschafft Nele Neuhaus ein wirres Durcheinander verschiedenster Möglichkeiten, nicht nur durch die potenziellen Täter, sondern auch durch die kleineren Nebenhandlungen. Dabei gelingt es ihr stets den Überblick zu behalten und sich nicht in Widersprüche zu verstricken. Denn mal ganz ehrlich, wer will schon einen Krimi lesen der unlogisch aufgebaut wurde. Mit „Muttertag“ kreiert sie einen durchweg stimmigen Kriminalroman, der eine ordentlichen Portion an Spannung, falschen Fährten und Emotionen beinhaltet. In ihrem Duktus und Stil ist sie auch in ihrem neusten Werk konsequent geblieben. Sie wählt einen einfachen Satzbau und die Fremdwörter die sie nutzt, werden so gut wie immer erklärt. Sodas das lesen leicht von statten geht. Nele Neuhaus schreibt jedoch keinen simplen Krimi, bei dem es einen Toten zu beklagen gibt und mehre Verdächtige dem Ratespiel ausgesetzt werden. Nein, der gesamte Hintergrund des Täters wird ausleuchtet und ein feinmaschiges psychologisches Konstrukt um diesen aufbaut. Das und das sie zudem die banalen, oftmals zähen Tätigkeitsfelder eines Kriminalbeamten mit einfließen lässt, macht sie für mich zu eine der lesenswertesten Kriminal-Autorinnen der heutigen Zeit. Einzig der Umstand das sich die Zufälle und Schicksalhaften Fügungen zum Ende hin häuften haben ich mich gestört.

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