Delphine und "Elle"

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bavaria123 Avatar

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Die Protagonistin in Delphine de Vigans Roman „Nach einer wahren Geschichte“ ist die Schriftstellerin Delphine de Vigan. Literarische Freiheit und Realität fallen also ineinander, könnte man meinen. Umso erschreckender, welchen Horror die Ich-Erzählerin erlebt: Eine schöne Unbekannte, L., freundet sich mit ihr an, schlängelt sich in ihr Leben, wird immer präsenter.

Bei diesem Buch lohnt sich schon der Blick auf das Cover. Blutrot kommt der Einband daher. In einem Kreis der rückwärtige Kopf einer Frau. Das ist schon mal ein Hingucker. Interessant wird es dann, wenn man den Schutzumschlag entfernt. Da kommt ein fester weißer Einband hervor, auch mit Kreisen, die aber leer und grau sind. Das passt ganz hervorragend zur Geschichte, bei der man sich immer mal wieder fragt, was denn hinter der Fassade zu finden ist.

Der Leser fragt sich von Beginn des Buches an, ob die Autorin Delphine de Vigan ihre eigenen Erlebnisse erzählt. Immerhin stimmen ja die überprüfbaren Daten mit ihrer Person überein. Sie hat zwei Kinder und wurde sehr bekannt mit einem Roman, der von ihrer Mutter handelt, "Das Lächeln meiner Mutter" lautet der Titel.
Dann aber befindet man sich als Leser schon mitten in einem intelligenten, gewitzten Spiel welches von Wahrheit und Vermutung lebt. So ganz sicher kann man sich nie sein, ob man sich gerade auf der richtigen Fährte befindet.

Und zwangsläufig stellt man sich die Frage: Wer ist "L."? Ist es einfach eine "Sie" also im Französischen "Elle"? Oder ist es eine zweite Stimme im Kopf? Oder ist es das Pseudonym Lou Delvig, unter dem Delphine de Vigan einst das Buch "Jours sans faim" geschrieben hat?
Jedenfalls ist jene L. eine selbstsichere, chice Frau, die zielstrebig in ihrem Leben vorgeht.

"Nach einer wahren Geschichte" ist auf jeden Fall ein besonderes Buch, ich würde es fast als ein Experiment einstufen, eine Mischung von Psychothriller, Biografie und Essay. Geschrieben in einem schönen Stil, den man gern liest. Auch wenn ich über einige wenige nicht ganz glatte Übersetzungen gestolpert bin. Nicht so ganz hat sich mir die Motivation des Schreibens von anonymen Briefen erschlossen, aber darüber kann ich dann doch hinweg sehen.

"Nach einer wahren Geschichte" ist eines der Bücher, die nach dem Lesen noch einige Zeit im Kopf bleiben. Es regt durchaus zum Nachdenken an. Über Realität und Fiktion. Über Autoren und Leser. Über die Verbindlichkeit zu Unterhalten oder unterhalten werden zu wollen. Über die Macht, die man mit dem Schreiben ausüben kann oder die dann der Leser über den Autoren hat.

Ich empfehle das Buch sehr gern weiter...ganz real!