Gefährliche Freundin

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hurmelchen Avatar

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Dieser neue Roman von Delphine de Vigan hat mich derart ratlos und ausgelaugt zurückgelassen, dass ich, wie Vigans Protagonistin, glaube, unter einer Rezensionsschreibblockade zu leiden...

Ich versuche, mich aufzuraffen:
Die Schriftstellerin Delphine, das fiktionale Alter Ego der wahren Delphine, deren Biographien exakt übereinstimmen, lernt auf einer Party die geheimnisvolle L. kennen. Die beiden freunden sich an, und nach und nach wird aus der Freundschaft eine Abhängigkeit. Ohne L. kann Delphine, die an einer Schreibblockade und unter Depressionen leidet, nichts mehr machen. L. ist jederzeit zur Stelle und verschmilzt immer mehr mit Delphine. Ist L. Realität? Oder eine zweite Persönlichkeit Delphines?

Anfangs lehnte ich den Roman total ab - zu eitel, zu geschwätzig, auf der Stelle tretend,
durchschaubar. Ein schier endloser Essay über das Lesen, das Schreiben, über die Lebensart französischer Intellektueller, ohne erkennbare Handlung.
Aber Madame Vigans Geschichte wirkt subkutan. Das letzte Kapitel versöhnt, denn hier zieht die Autorin alle Register und man versteht die Absicht hinter der Geschichte.

"Being Delphine de Vigan" könnte die Erzählung auch heißen, denn die Autorin gibt dem Leser immer ein bisschen von sich preis, und heizt so die Mutmaßungen über Wahrheit und Fiktion, Tatsache oder Roman an.
Alles, was sie Roman - Delphine gelesen hat, muss die echte Delphine auch gelesen haben, und was die falsche Delphine geschrieben hat, hat die Echte ebenfalls geschrieben, nämlich den Roman "Das Lächeln meiner Mutter"...
Wahrscheinlich liegt der Reiz der Geschichte in diesem permanenten Verwirrspiel - was ist echt, was ist Fake?
Am Ende gibt es echte Thriller - Momente, und alle Gedankenspiele des Lesers werden ad absurdum geführt.

Delphine de Vigan behauptet gegen Ende ihrer Erzählung, dass man sich aus allen Büchern, die man je gelesen hat, ein Leben zimmern kann. Eine interessante These. Aber ob ihr eigener "Roman" das Zeug dazu hat, als unauslöschliche Erinnerung in unseren Köpfen zu bleiben, bezweifele ich.