Geschichtlich hochinteressant!

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johannaberger Avatar

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„Plötzlich verschwanden Jungen im Teenageralter“, lautet der erste unheilverkündende Satz des Romans. Er spielt im früheren Malaya, in Kuala Lumpur und in einem Gefangenenlager an der burmesisch-thailändischen Grenze zwischen 1935 und 1945. Das Verschwinden der Jungen hat mit den japanischen Besatzern zu tun, die junge Malayer verschleppten und in Gefangenenlagern zur Sklavenarbeit benutzten.

Es ist eine schreckliche Geschichte aus einer weit entfernten Gegend der Welt, von der man nicht so viel weiß.

Im Mittelpunkt steht eine eurasisch-stämmige Frau, die sich durch ihre Spionage für die britische Kolonialmacht Erlösung verspricht – von der Demütigung durch die Besatzer und von der Langeweile ihrer häuslich biederen Mittelschichtexistenz. Sie verfällt einem japanischen Spion, der ihr eine weinerliche Geschichte von seiner angeblichen Familie erzählt. Das verstärkt bei ihr das Gefühl der Kränkung durch die Briten. „Alles, was sie danach tat, war diesem Moment der Gebrochenheit geschuldet, an dem er sie hatte teilnehmen lassen.“ Sie händigt ihm Dokumente ihres Mannes aus, der Angestellter der britischen Verwaltung ist, und hilft ihrem Liebhaber auf diese Weise, sein Ziel „Asien den Asiaten“ zu verwirklichen. Allerdings wird dann nur eine Kolonialmacht durch eine andere – noch brutalere – ausgetauscht. Als sie ihren Fehler erkennt, ist es zu spät. Ihr Sohn verschwindet an seinem 15. Geburtstag, ihr Mann muss Zwangsarbeit verrichten und geht daran zugrunde, die kleine Tochter wird tagsüber in den Keller gesperrt, damit die japanischen Soldaten sie nicht in eines der Bordelle mit sogenannten „Trostfrauen“ bringen. Sie hat ihre Familie zerstört und kann mit niemand darüber reden.

Vanessa Chan erzählt die tragische und spannende Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, die der Mutter und die der Kinder. Sie springt in der Geschichte vor und zurück, bis sich am Ende die Erzählstränge wieder vereinen, die Figuren tot oder verletzt an Körper und Seele. Gerüche und Farben lassen die Umgebung lebendig vor Augen stehen. Besonders eindrücklich, wenn auch ganz, ganz übel sind die Szenen aus dem Arbeitslager, in dem der Junge mit der helleren Haut auffällt und gefoltert wird.

Was mir nicht so gefallen hat, ist die Melodramatik der Erzählung und die eher flachen Charaktere. Beispielsweise scheint mir die Agententätigkeit der Mutter zu wenig motiviert zu sein. Erzählt wird eigentlich nur von der Hochnäsigkeit der britischen Damen und Herren. Ein bisschen wenig. Was den japanischen Spion und späteren General so anziehend macht, außer seinem immer wieder penetrant hervorgehobenen Minzgeruch, bleibt auch im Verborgenen. Es gibt arg konstruierte Zufälle. Manche Szenen sind nah am Kitsch gebaut.

Insgesamt aber eine interessante Geschichte für Hartgesottene, literarisch zu wenig ergiebig.