Malaysia im Zweiten Weltkrieg

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elisa Avatar

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Über Indien, China und Japan habe ich Diverses gelesen, aber Südostasien ist bei meiner Lektüreauswahl leider immer ein wenig unterrepräsentiert. Jetzt hat Vanessa Chans Debüt-Roman mich nach Malaysia entführt, bzw nach Malaya, wie das Land bis 1963 hieß. Araber, Portugiesen, Niederländer und Engländer besiedelten neben- und nacheinander das Land und hinterließen ihre Spuren. Im zweiten Weltkrieg besetzten die Japaner Malaya und jagten die britischen Machthaber aus dem Land. Ihr Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung war erbarmungslos. Heranwachsende Jungen wurden in Arbeitslagern gefangen genommen, junge Mädchen als Trostfrauen für japanische Militärangehörige zur Prostitution gezwungen.

1945 wird Cecily Alcantaras Familie von dieser Entwicklung zerrieben: ihr 15-jähriger Sohn verschwindet spurlos wie schon viele Jungen vor ihm, die 7-jährige Jasmin darf nur noch Jungenkleidung tragen und wird tagsüber im Keller versteckt, um nicht Beute für ein Kriegsbordell zu werden, und die Älteste, Jujube, ist einfach nur noch wütend in ihrer Hilflosigkeit. Cecilys Mann verliert die gute Stellung, die er unter der britischen Besatzung hatte und ist kaum noch in der Lage, für seine Familie zu sorgen. Und Cecily bekämpft ihre eingenen Dämonen, denn sie fühlt sich mit verantwortlich für das unsagbare Leid, das über ihre Familie und ihr Volk gekommen ist. Jahre zuvor hatte sie geglaubt, alles richtig zu machen und tat, was sie tat, für eine bessere Zukunft für ihre Familie und für ihr Land.

- Ab hier eventuell Spoiler -

War das so? Ceciliy glaubt das, aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie da ganz ehrlich mit sich ist, denn Ceciliys Unzufriedenheit begründet sich nicht nur auf der politischen Situation ihres Landes, sie ist auch persönlicher Natur. Sie will mehr vom Leben, mehr für sich. Die klassische Frauenrolle behagt ihr nicht. Ceciliy möchte gesehen werden. Aber gesehen wird Ihresgleichen nicht, denn die britische Gesellschaft macht ganz unverholen einen Unterschied zwischen den eigenen Leuten und der einheimischen Mischlingsbevölkerung.

Vanessa Chan erzählt ihre Geschichte aus der Sicht von Cecily und ihren drei Kindern. Die tragende Rolle kommt Cecily zu, denn sie verbindet zwei Zeitebenen, indem sie rückblickend erzählt, was ab 1936ff geschah, und was von Februar bis August 1945 geschieht. Jujube, Abel und Jasmin berichten von ihrem eigenen Erleben auf der Basis ihrer Wahrnehmung. Ihr Wissenstand ist unterschiedlich und dementsprechend ihre Einordnung der Geschehenisse. Dabei bringt die Autorin auf überzeugende Weise das ganze Spektrum menschlicher Gefühle zum Ausdruck. Jujube hat keine passenden Mittel, in ihrer Hilflosigkeit mit ihrer Wut umzugehen, Jasmin ist sauer und fühlt sich ungerecht behandelt und unverstanden, Abel muss sich selbst dabei zusehen, wie er zu einem völlig anderen, ihm selbst fremden Menschen mutiert und Cecily versinkt in Sprachlosigkeit und Apathie. Was ist eigentlich mit Cecilys Mann, dem Vater ihrer drei Kinder? Ihm hat die Autorin keine eigene Erzählstimme verliehen, er ist so unbedeutend, so sehr Randfigur in der Handlung, dass ich mir noch nicht einmal seinen Namen gemerkt habe. Auch das zeigt, wie Cecily zu ihm steht. In mehrererlei Hinsicht ist er nur Mittel zum Zweck.

- Spoiler Ende -

Vanessa Chan wirft uns mittenhinein in die Handlung. „Plötzlich verschwanden Jungen im Teenageralter.“ ist ihr erster Satz. Bam! Ich bin durch das erste Drittel des Romans gehechelt, sehr spannungsgelanden habe ich den Einstieg empfunden. Dann tritt die Handlung zunächst vermeintlich etwas auf der Stelle. Im Nachhinein finde ich dieses Verharren, diese Agonie allerdings sehr passend, weil dadurch das Leid der Menschen, die Schwere und das Ausgeliefert sein an die Situation sehr gut illustriert werden.

VC hat einen Roman über einen Krieg geschrieben, der unvorstellbares Leid über ihr Herkunftsland gebracht hat. Zugleich handelt dieser Roman aber auch von einer Frau, die versucht, ihre Ketten zu sprengen, die mehr will vom Leben, die vielleicht ihrer Zeit voraus ist, der aber die Instrumente fehlen, ihren eigenen Weg zu gehen. Gesellschaft, Krieg, Tradition, Kultur - alles spricht gegen sie. Cecily ist keine Figur, mit der man sich leicht identifizieren kann, aber ihre Unzufriedenheit nachempfinden - das konnte ich schon.

Von Anfang an ist klar, dass diese Geschichte kein Happy-End haben kann. Am Ende muss jeder, der überlebt, mit seinen Dämonen weiterleben, und vielleicht liegt hier ein Teil der Erklärung für das Schweigen über die Erlebnisse in der malaysischen Nachkriegsgesellschaft. Vanessa Chan beginnt ihren Roman mit einer Ansprache an ihre Leserschaft, indem sie erklärt, dass die Großeltern in Malaysia ihre Liebe zeigen, indem sie wenig über die Jahre 1941 - 1945 sprechen. Sie sagen nur, „dass es eine schlimme Zeit war und dass sie überlebt haben.“ Auch die Autorin hat wenig gewusst, und es bedurfte jahrelanger Arbeit, ihrer Großmutter Erzählungen aus dieser Zeit zu entlocken. „Nach uns der Sturm“ ist ein Buch, das es verdient, zweimal gelesen zu werden.

Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit.