Streiflichter auf schwarze Biografien in den 1960er Jahren

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
alexandros Avatar

Von

Die Sammlung von fünfzehn Erzählungen von Diane Oliver mit einem Nachwort von Tayari Jones, ins Deutsche übertragen von Brigitte Jakoleit und Volker Oldenburg habe ich mit viel Vorfreude zur Hand genommen und gelesen. Und bin danach zwar durchaus angetan, doch nicht wirklich begeistert. Viel an meinem Urteil liegt an den überbordenden Vorschusslorbeeren sowie an der Biographie bzw. dem Schicksal der Autorin, die bereits mit 22 Jahren bei einem Motorradunfall starb. Ebenso am selbstkasteienden Nachwort von Jones, die sich selbst dafür herabwürdigt, vor der Beschäftigung mit den Geschichten in "Nachbarn" nie etwas von Diane Oliver gehört oder gelesen zu haben. Still mochte ich ihr zugerufen haben: Man kann schließlich nicht jeden kennen. Auch nicht, wenn man Literatur studiert hat. Das kann ich aus Erfahrung sagen.

Die Erzählungen selbst kommen nun nie mit dem erhobenen Zeigefinger. Sie sind facettenreich und mit scharfem Blick daher. Sie werfen Schlaglichter auf das Leben schwarzer Menschen in den USA der 1960er Jahre, als die sogenannte "Rassen"trennung im Zuge der kurzen Präsidentschaft John F. Kennedys gerade juristisch abgeschafft, in den Köpfen der Menschen aller Hautfarben jedoch noch immer präsent war. Das sogenannte N-Wort verwendet Diane Oliver selbst, in einer merkwürdigen Mischung aus Schimpfwort und Selbstbeschreibung. In der Buchausgabe von "Nachbarn" ist das Wort im Original erhalten; in der deutschen Übersetzung wird es ausgesternt.

Ich halte es für schwierig, auf diese Art und jede andere "sensible" oder "behutsame" Sprachanpassung den Leser quasi zu entmüdigen, ihn als Kind zu behandeln, der entweder geschützt oder belehrt werden soll. Aus meiner Sicht zerstört das die Authentizität der Texte, in denen nicht mehr die Lebenswirklichkeit der Zeit dargestellt wird, in denen sie entstanden sind.

Inhaltlich sind die fümfzehn Geschichten äußerst facettenreich an Stil und Thematik. Das Buch liest sich auch wie das Ausprobieren einer jungen Autorin an unterschiedlichen Stimmen und Rhythmen. Als sie starb, hatte sie ihre eigenen Klang noch nicht gefunden. So konnte ich mich zumindest nicht nur auf den Inhalt konzentrieren, sondern musste jedes mal aufs Neue in die Sprachmelodie hineinfinden. Das war durchaus spannend. Allerdings erscheint der Band so eher wie ein Sammelband von unterschiedlichen Autoren als das Werk aus nur einer Feder.

Was allen Erzählungen jedoch gemein ist, ist die noch immer vorherrschende Segregation zwischen Weiß und Schwarz. Es wird nicht miteinander gesprochen; Schwarze sondern sich lieber von Weißen ab und erschießen sie, als auf Angebote einzugehen oder auch nur mit ihnen zu reden. Das liest sich teilweise verstörend, zeugt allerdings von den Erfahrungen vieler Menschen zu dieser Zeit.

Und ist es heute anders? Auch heute noch werden Menschen grundlos erschossen, nur weil sie zu nahe ans eigene Haus kommen. Es wird nicht miteinander geredet, denn der andere könnte ja etwas im Schilde führen. Es erschreckt, wie wenig sich in sechzig Jahren auf US-amerikanischen Straßen und in Häusern geändert hat. Die Segregation ist längst wieder in den Köpfen angekommen, wenn sie überhaupt je verschwunden war. Unter dem Gesichtspunkt sind die hier vorgestellten Texte der Autorin äußerst modern.

Fazit: Geschichten, die das Leben abbilden und einen Blick werfen, den es aus der Zeit der 1960er Jahre wohl selten gibt: eine schwarze junge Frau beschreibt Lebensfacetten kurz nach Abschaffung der Segregation in den USA. Eine facettenreiche Sammlung, allerdings ohne eigene Stimme. Zudem fokussiert sich die Außenwirkung zu sehr auf die tragische Biographie Diane Olivers.