Wenig Magie, dafür mehr Spannung

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annajo Avatar

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Ein unerfreulicher Zusammenstoß am JFK Airport in New York und zwei vertauschte Handys als Folge. Madeline in Paris und Jonathan in San Francisco sind genervt. Beide brauchen ihr Handy für ihre Arbeit und vermissen es schmerzlich auch in ihrem Privatleben. Zudem wird ihnen plötzlich bewusst, wie viele persönliche Daten ihre Smartphones enthalten. Durch etliche Anrufe und Recherchen wird die Neugier beider geweckt und sie beginnen, die vertauschten Smartphones zu durchforsten und die intimsten Geheimnisse des anderen offenzulegen.

Hier ist der Leser in "Echtzeit" dabei und erfährt nach und nach Details über das Leben von Madeline und Jonathan. Beide beginnen, sich in das Leben des anderen einzumischen, sodass sie zwangsläufig Kontakt zueinander herstellen. Wer hier eine Geschichte ähnlich der E-Mail-Romane von Daniel Glattauer ("Gut gegen Nordwind", "Alle sieben Wellen") erwartet, wird jedoch enttäuscht werden. Habe ich den Namen Musso bislang mit Liebesromanen verbunden - ohne allerdings bisher ein Buch von ihm gelesen zu haben - war ich sehr überrascht, dass dieses Buch sich eher in Richtung Thriller entwickelte. Leider lassen auch weder Cover noch Klappentext darauf schließen. Bereut habe ich das Lesen dennoch nicht, denn Musso weiß die Geheimnisse schrittweise so aufzudecken, dass der Leser immer wieder von Neuem mit hineingezogen wird. Was steckt hinter Jonathans plötzlichem Ausstieg aus der Haute Cuisine, obwohl er doch als deren Meister galt? Welch schwere Vergangenheit hat Madeline hinter sich, die sie einst zu einem verzweifelten Schritt trieb? Und plötzlich stecken Jonathan und Madeline mitten in einem Mordfall, der sie zufällig schon in der Vergangenheit verband.
Etwas konzeptlos wirken die verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven. Zunächst wechselt die Perspektive immer zwischen Jonathan und Madeline und begleitet sie dabei, wie sie etwas über den anderen entdecken. In den späteren Teilen wird mit Rückblicken, die sich über mehrere Kapitel erstrecken, die Vergangenheit der beiden Protagonisten geschildert. Danach fließen die Handlungsstränge zusammen, da sich die beiden begegnen und gemeinsam in dem Mordfall weiter ermitteln. Dies fand ich teilweise recht unrealistisch und weit hergeholt. Darüber hinaus konnte mich Madelines Wandlung von der kreativen Floristin zur knallharten und rücksichtslosen Superpolizistin nicht überzeugen bzw. machte mir Madeline unsympathisch. Insgesamt sind mir die beiden Protagonisten zu oberflächlich geblieben oder haben sich in Klischees ergangen, beispielsweise wie Jonathan zunächst über Madeline urteilt aufgrund deren Alter und Kleidungsstils.
Der Plot an sich bietet jedoch allerhand und bringt ordentlich Tempo in das Buch, sodass man es in kürzester Zeit weglesen kann. Zudem - ein besonderes literarisches Häppchen - stellt der Autor jedem (!) Kapitel ein passendes Zitat aus klassischer oder moderner Literatur voran, das sich wirklich gut auf den Inhalt des jeweiligen Kapitels bezieht. Ansonsten lässt sich das Buch sprachlich gut weglesen ohne jedoch großartig poetisch oder blumig zu sein. Dafür scheint der Autor tief in die Materie des Kochens eingestiegen zu sein.

Für diesen überraschend anderen Inhalt als erwartet war dieses Buch doch ziemlich spannend und greift eine interessante Thematik auf: persönliche Daten auf Smartphones und die zunehmende Mediatisierung der Welt. Allerdings gibt dies nur den Anstoß für eine Thrillerhandlung und ist nicht Ursache oder eigentlicher Gegenstand des Plots. Die Idee ist trotz einiger Schwächen aber gut und auch größtenteils gut und spannend umgesetzt.