Mit den Stimmen leben

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dicketilla Avatar

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Matthew erinnert sich an seinen großen Bruder, der ihm immer alles nachmachte, obwohl er Sachen tat, die verboten waren, der ständig lächelte, mit einem Gesicht, das an den Mond erinnerte.
Simon , der anders war, ein Kind mit Downsyndrom und Muskelschwäche.
Daher wurde er von den Eltern mehr behütet, wobei er selbst immer mehr in den Hintergrund geschoben wurde.

“ Über die Vergangenheit nachzudenken ist, wie Gräber aufzubuddeln. Vor langer Zeit haben wir alle Erinnerungen die wir nicht mehr wollten, vergraben.” (S.68)

Matthew ist jetzt 19 und ist in einer psychiatrischen Klinik. Er erinnert sich an eine Zeit, als er gerade 9 Jahre alt, sein 3 Jahre älterer Bruder, zu Tode gekommen war, sich für schuldig hält.
Seitdem litt er unter Halluzinationen, die in seinem Kopf und vor seinen Augen seinen Bruder zum Leben erweckten.

“ Wenn ich mich konzentriere und aufmerksam blieb, sprach er zu mir. Er hatte mich auserwählt, nicht Mum oder Dad oder einen seiner Freunde aus der Schule. Er sprach weder zu Ärzten noch zu den Schwestern; kein Wunder, dass sie mich nicht verstehen konnten.” (S.197)

Er beginnt seine Geschichte in Worte zu fassen. Er, der schon immer gerne Geschichten schrieb,
benutzt dafür eine alte Schreibmaschine, die ihm seine Großmutter schenkte, den Computer in der Tagesklinik.

“ Meine Krankheit hat die Gestalt und den Klang einer Schlange. Wann immer ich etwas Neues lerne, lernt meine Krankheit es auch.” (S.73)

So lernt man einen einst begabten Jungen kennen, der sich aus Liebe zur Mutter dümmer stellt, damit sie sich um ihn kümmern kann. Eine Mutter, die den Verlust des Bruders, nicht verarbeitet, somit Matthew auch keine Chance gibt. Wie er versucht auszubrechen, mit seinem besten Freund eine WG gründet, Erfüllung bei der Arbeit in einem Pflegeheim findet.
Doch immer wieder von Alpträumen heimgesucht wird, sich mit dem Messer die Haut ritzt, dem Feuerzeug verbrennt, um festzustellen ob er real war. Sich der Therapie entzieht, die er nicht möchte,
bis er auf eine geschlossene Station kommt, den ständigen Spritzen ausgeliefert, die ihm Heilung versprechen sollen.

Genau wie Matthews Krankheit, genau so unerwartet und verwirrend ist die Geschichte, die keiner chronologischen Reihenfolge folgt. Mal treten die Erinnerungen an seinen Bruder, dann wieder sein Leben in der Klinik, mit Beschreibungen der Patienten in ihr auf.
Und bis zum Schluss hält der Autor die Spannung, bis der Leser erfährt, wie Simon zu Tode kam.
Nathan Filer, der selbst als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, bringt dadurch viel Authentizität in die Handlung.
Es ist kein einfacher Roman, man muss sich ihm schon hingeben, muss sich mit der Krankheit auseinandersetzen, sich ihr stellen, dann wird man am Ende mit einer außergewöhnlichen Lektüre belohnt.

“ Das Schlimmste an meiner Krankheit ist nicht, dass sie mich verrückte Sachen denken oder tun lässt. Das sie mich kontrolliert oder andere Menschen die Kontrolle über mich gegeben hat.
Am schlimmsten ist, wie egoistisch sie mich macht.” (S.277)