Berlin, Zufluchtsort

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rosenfreund Avatar

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Die Siegessäule auf dem Cover impliziert bildgewaltig die große Bedeutung Berlins während der Nazizeit, denn für viele Heimatvertriebene war die Hauptstadt gewissermaßen ein “Leuchtfeuer in der Dunkelheit”, ein Zufluchtsort.
Da es Verwandten von mir ähnlich ergangen ist wie der Protagonistin, nämlich Flucht und Orientierungslosigkeit während der Nachkriegszeit, so ist der Realitätsgehalt des Werkes für mich sehr präsent, was sicherlich bei vielen Lesern der Fall ist, deren Angehörige oder sie selbst diese furchtbare Zeit der Verschleppungen, Vergewaltigungen, Morde, Hunger und Angst durchlebt haben.
Nach dem Tode der Mutter erzählt die Autorin, was sie von der Lebensgeschichte ihrer Mutter Rose weiß. In der Idylle der ostpreußischen Landschaft aufgewachsen, muss sie kurz vor Kriegsende fliehen, denn die Russen “stehen vor der Tür”. Sie flieht nach Schwaben, heiratet, bekommt eine Tochter, ist jedoch ständig depressiv und verbittert, denn sie trauert ihrer alten Heimat nach. Deshalb kann sie kein fröhlicher, ausgeglichener Mensch sein. Ihre Erfahrungen haben sich stark auf das Verhältnis zu ihrer Tochter ausgewirkt, das durch Emotionslosigkeit und Distanziertheit geprägt ist. Nach dem Tod der Mutter nimmt in die Autorin, Astrid Seeberger, dieses Ereignis zum Anlass, das Verhältnis zu ihrer Mutter aufzuarbeiten. Sie erfährt viel bisher Ungesagtes über ihre Mutter, und somit schafft sie Verständnis für deren Verhalten, was auch bei dem Leser eintritt, denn dieser Charakter wurde brillant beschrieben.
Erzähltechnisch finden viele Sprünge und wechselnde Settings statt, die dem Leser einiges an Konzentration abverlangen. Die Buchthematik wurde gut umgesetzt. Der Erzählstil ist oft sehr metaphorisch und einfühlsam, aber auch kalt und distanziert. Hier finden wir kurze, abgehackte Sätze neben anspruchsvollen Konstruktionen, was den Seelenzustand und das Mutter - Tochter Verhältnis gut herausarbeitet.
Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen, zumal auch ich innerhalb meiner Familiengeschichte bisher Verschwiegenes in meine Vita integrieren konnte.