Bewegende Familiengeschichte

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Astrid Seebergers Roman "Nächstes Jahr in Berlin" macht es einem nicht leicht: Der Anfang ist durch das langsame Erzähltempo eher schleppend, der Einstieg in die Geschichte durch die wechselnden Erzählzeiten und Orte etwas mühsam, die Protagonistin nach dem Tod ihrer Mutter recht verstimmt und zuweilen allzu melancholisch. Während sich die Rahmenhandlung also vor allem um die letzten Tage der Mutter und deren Begräbnis dreht, führen einen die in den Text eingeflochtenen Erzählungen und Erinnerungen tief in die Familiengeschichte der Autorin ein. Und die haben es in sich: Die meisten der Geschichten handeln entweder vom Krieg, von der Flucht oder den widrigen Umständen der Nachkriegszeit in beiden Teilen Deutschlands. Was die Autorin hier mit dem historischen Stoff macht, ist autobiographisches Schreiben auf die bestmögliche Art und Weise: Die Erinnerungen werden literarisch aufgearbeitet und emotional nachvollziehbar präsentiert, ohne die dunklen Seiten der Geschichte zu verwischen. Im Gegenteil, viele Szenen – etwa bei der Flucht, aber auch ganz persönliche innerfamiliäre Dramen – werden schonungslos und teilweise so drastisch erzählt, dass man den Roman manchmal für eine Weile aus der Hand legen muss. Dennoch gelingt es, dass einem mit jeder Geschichte die Figuren nahbarer werden und sich nach und nach ein sicher recht persönliches, aber sehr authentisches Zeitbild zusammenfügt. Es ist insgesamt sicher kein ganz einfaches Buch, aber wer sich darauf einlässt, erfährt eines der außerordentlichsten und bewegendsten Familienporträts des 20. Jahrhunderts. Klare Kaufempfehlung.