Ein Abenteuer in der Unterwelt wird zu einer Reise zu sich selbst

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hundenaerrin Avatar

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3,5 Sterne

Alpträume kennt Nico di Angelo bereits sein Leben lang. Doch dieser ist anders: Seit Wochen ruft ihn jemand aus dem Tartarus und bittet um Hilfe. Ist es Bob, der ehemalige Titan Iapetus, der Percy und Annabeth half, die Tore des Todes in der Unterwelt zu schließen und der zurückblieb, um ihnen die Flucht zu ermöglichen? Als gegen Ende des Sommers das Orakel Rachel Dare eine Prophezeiung für Nico hat, steht fest: Er und sein Freund Will müssen in den Tartarus, um dieser Person zu helfen. Auch, wenn es sehr wahrscheinlich eine Falle sein wird. Und so kämpfen sich der Sohn des Hades und der Sohn des Apollo mit Hilfe von Freunden, aber auch mit Unterstützung von unerwarteter Seite durch die Tiefen der Unterwelt. Doch was sie dort erwartet, erweckt Nicos schlimmste Ängste und Alpträume zum Leben…

Ich bin ein sehr großer Rick Riordan Fan. Ob die Percy Jackson Reihe, die Olympus Bücher, die Trials of Apollo, Magnus Chase oder die Kane Chroniken – ich habe sie alle im Regal stehen. „Daughter of the Deep“ habe ich vor kurzem erst gelesen und war nicht so recht überzeugt. Ob es nun daran lag, dass es sich um einen – für den Autor eher untypischen – Einzelband handelt, oder ob mir die Geschichte nicht zusagte, kann ich schwer greifen. Umso größer war nun jedoch die Freude über einen weiteren Band aus der Percy Jackson Welt.

Allerdings muss ich nun nach der Lektüre sagen: Ich wurde ein wenig enttäuscht. Dafür konnte ich drei Gründe ausmachen:
1. Die Story kommt für mich zu langsam in Gang. Erst ab ca. Seite 230 wird es spannend und die Geschehnisse nehmen an Fahrt auf. Eine weitere Ursache dafür sind
2. die zwischen den Kapiteln eingeschobenen Vorausschauen, in denen Nico und Will bei der Nymphe Gorgyra ihre Liebesgeschichte erzählen. Leider nimmt diese Vorwegnahme das Romantische und Emotionale an diesem Part, zudem unterbrechen die Einschübe den Lese- und Erzählfluss. Es sind in meinen Augen zu viele kurze Abschnitte, die mich den roten Faden für die Haupt-, aber auch die Nebenerzählung verlieren ließen. Leider!
3. Des Weiteren befinden sich für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen in Bezug auf die Gefühlsäußerungen der beiden Jungen in dieser Geschichte. Es fühlt sich an wie ein endloser Kreis aus Unsicherheiten, Ungesagtem und verbalen Verletzungen. Im Fokus dieser Geschichte stehen bis etwa zur Hälfte des Buches Persönliches und die Beziehung zwischen Will und Nico. Grundsätzlich ist dies natürlich nichts Schlechtes, vielleicht eher etwas ungewohnt von Rick Riordan. Aber die beiden drehten sich einfach im Kreis. Die Intention dahinter ging mir nicht ganz auf: Ist es, weil sie ein junges, queeres Paar sind, die sich selbst und ihren Platz in der Welt erst noch finden müssen? Oder weil sie eigentlich – im wahrsten Sinne – wie Tag (Will, Sohn des Sonnengottes Apollo) und Nacht (Nico, Sohn des Hades, des Gottes der Unterwelt) sind? Liegt es an ihren (Kriegs-)Traumata, die jeder für sich aufarbeiten und überwinden muss, damit diese Beziehung gelingen kann? Oder ist es gar eine Kombination aus allem?

Nico di Angelo war immer eine elementare Figur dieser Reihe, blieb jedoch sehr geheimnisvoll, eher ein introvertierter Eigenbrödler, der von einem Trauma ins nächste gezogen wurde. Ich hatte immer Sympathien für ihn übrig, sehr oft vor allem Mitleid. Ein Sohn des Hades, der gemeinsam mit seiner Schwester jahrzehntelang in einem Hotel leben musste, in dem die Zeit stehen geblieben ist, während sich die Welt weiterdrehte… Ist es da verwunderlich, dass ihn das 21. Jahrhundert überfordert und er lieber allein in den Schatten lebt? Und hier komme ich auch schon zu einem wichtigen Knackpunkt: Als Leser dieses Buches sollte man alle drei Reihen (Percy Jackson, Die Helden des Olymp, Die Abenteuer des Apollo) rund um die griechischen (und römischen) Götter kennen, denn nur so kann nachvollzogen werden, was diese Reise in den Tartarus für Nico bedeutet – nämlich eine Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte und somit eine Reise zu sich selbst. Ohne Vorkenntnisse dürften sich viele Fragen auf Grund von intertextuellen Lücken ergeben. Denn fest steht: Dieses Buch ist ein Entwicklungsroman des Nico di Angelo und man erkennt die Entwicklung deutlich klarer, wenn man Vorkenntnis der anderen Reihen besitzt.
Erfreuen konnte mich die wohlbekannte Mischung aus Witz, Wortspielen und Emotionalität des Autors. Wie immer konnte er mich zum Lachen und Weinen bringen, so als wären zwischen den Bänden nicht mehrere Jahre vergangen. Seine Figuren besitzen unwahrscheinlich viel Tiefgang und Persönlichkeit, sodass es sich anfühlt, als hätte man Camp Halfblood erst gestern verlassen.

Trotz der eher gemischten Gefühle gegenüber diesem Band freue ich mich sehr auf die neue Percy Jackson Geschichte, die im Original bereits erschienen ist. Die Frage ist nur: Wo finde ich jetzt noch Platz für die neuen Bände?!