Chance vertan!

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tintenteufel Avatar

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Das Buch „Nie gut genug“ des britischen Psychologen Thomas Curran beschäftigt sich wie im Untertitel angekündigt mit dem um sich greifenden Perfektionismus und seinen Folgen sowie der Frage, wie wir uns vom Selbstoptimierungsdruck befreien können. Bereits der erste Blick in die Gliederung zeigt allerdings, dass die Analyse des Status Quo mit gut 240 Seiten den größten Raum einnimmt, während der Teil mit den Lösungsperspektiven mit nur 50 Seiten erheblich sparsamer ausfällt.

Currans Analyse des individuell vorhandenen und gesellschaftlich verstärkten Perfektionismus ist sehr kenntnisreich und basiert auf unzähligen Biografien und Studien, betrachtet private Lebensverhältnisse genauso wie berufliche Erfahrungen in verschiedenen Branchen. Besonders die verstärkende Wechselwirkung zwischen persönlichem Selbstoptimierungsbedürfnis und gesellschaftlichem Druck wird geradezu beängstigend genau beschrieben, so dass sich der Leser die bange Frage stellt, wie er diesem Wechselwirkungsgeflecht je entkommen kann.

Doch wer sich vom Buch konkrete Lösungsvorschläge erhofft, wird leider enttäuscht. Die Quintessenz der letzten Seiten mündet letztlich in zwei Themenkomplexe: Zum einen in der Forderung nach einem Bewusstseinswandel, i.e. der Bereitschaft, die eigenen Mängel und Misserfolge als Teil unseres Menschseins zu akzeptieren. Und zum anderen in einer Kapitalismus-Kritik, welche die berechtige These ausstellt, dass es ein ständiges Wohlstandswachstum nur auf Kosten von Mensch und Umwelt geben kann und ein sinnvolles Maß die bessere Alternative darstellt. Allerdings wird der Autor hier immer ungenauer und pathetischer: „Wirtschaftswachstum – verewigt in Einheiten des Bruttoinlandsprodukts – ist der allmächtige weltliche Gott. Wir beten an seinem Altar und heben ihn auf einen vergoldeten Sockel, wo er über allen Dingen thront. Was immer die Wirtschaft für ihr Wachstum benötigt, wird ihr bedingungslos dargebracht, ungeachtet der Kosten für Mensch und Umwelt.“ (S.270)
Schade! Etwas mehr wissenschaftliche Distanz und Rückbesinnung auf sein eigenes Fach hätten seinen Lesern hier mehr geholfen, sich aus den Zwängen zu lösen, die sich daraus ergeben, sich nur über die eigene Leistung zu definieren. Die gute Analyse der ersten 240 Seiten wäre eine gute Basis, sich guten Gewissens von den übertriebenen Ansprüchen der Arbeitswelt zu distanzieren und diese auf ein gutes und sinnvolles Maß zurückzuschrauben. Und der Psychologe Curran hätte seinen Lesern das nötige Handwerkszeug dafür geben können. Doch diese Chance hat er meines Erachtens leider vertan.