Oberflächkeit trifft Belanglosigkeit

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
skaramel Avatar

Von

Jeder kennt diese Erlebnisse, die man auch nach Jahren noch nicht abschließen kann? Deren Verlauf man immer wieder durchgeht, die Worte noch mal resümiert und es immer und immer wieder überdenkt? Was würde man dafür geben, wenn man diese Situationen noch mal erleben könnte? Sie noch mal überprüfen könnte?
Bee kann dies tun und vielleicht die offenen Fragen, die um den Tod ihres Freundes Jim kreisen endlich klären. Warum sie das kann? Als sie sich mit ihren Freunden an einem Abend trifft, entgeht die Clique nur knapp einem Autounfall. Nachdem sie wieder zuhause angekommen sind, wartet doch jedoch ein alter Mann, der sich „der Wächter“ nennt auf sie und erzählt ihnen, dass sie alle tot sind, da der Unfall doch passiert ist. Jedoch befinden sich die fünf Freunde gerade in einer Art Zeitschleife, die immer wieder elf Stunden vor dem Crash einsetzt und mit ihm endet. Um aus dieser zu entkommen, müssen sie einstimmig beschließen, wer von ihnen überleben wird – und das wird nur einer sein. Doch wie löst entscheidet man sowas? Und was tut man solange bis man diese Entscheidung herbeigeführt hat? In diesem Falle scheint der angebliche Selbstmord ihres Freundes Jim eine zentrale Rolle zu spielen und so ermitteln die Freunde, denn: Wenn der Tag immer und immer wieder passiert, kann man wirklich viel machen, ohne dass es Konsequenzen hat.
Was klingt wie eine Mischung aus einem Jugendbuch und einem Thriller, ist der Plot des neuen Romans Niemalswelt von Marisha Pessl. Auch wenn die Idee dahinter Spannung und Innovation verspricht, ist das Buch vor allem eins: verwirrend. Grundlegend sind Themen wie Zeitsprünge oder -schleifen einfach ein komplexes Thema, auf das man sich bestenfalls ohne große Fragen einlassen sollte, denn sobald man ans Grübeln kommt, man immer mehr Ungereimtheiten entdecken wird. Da sich Bee und ihre Freunde, die Zeitschleife und ihre Eigenheiten so dehnen wie sie es brauchen, um das Geheimnis um Jims Tod zu lüften, entstehen gefühlt hunderte Fragen, die Pessl eher oberflächlich erklärt.
Und das ist wohl das größte Problem an Niemalswelt: Es ist einerseits so komplex gedacht, dass man teilweise Seiten zurückblättern muss, um nicht völlig ahnungslos zu sein, ist aber anderseits im Verlauf der Geschichte so banal, dass es fast langweilig wird. Das liegt nicht nur am Verlauf und den Auflösungen der Geschichte, sondern mitunter auch an den Charakteren. Auch bis zum Schluss sind Bee und die anderen eher schemenhafte Skizzen. Einzig und allein für Martha hat sich mein Herz Seite um Seite erwärmt, denn obwohl sie zunächst eher eine Randnotiz ähnelt, hat Pessl sie mit mehr Liebe und Hintergründen befüllt als beispielsweise die Protagonistin oder Jim.
Daher ist Niemalswelt zwar wirklich leicht und schnell zu lesen, jedoch fehlt dem Buch vor allem an Substanz. So nett die Idee dahinter auch sein mag, so sehr fehlt dem Buch der nötige Schliff und vor allem die Leidenschaft für die Charaktere und die Erzählung an sich. Auch wenn die Aufgabe eine einstimmige Lösung über Leben und Tod zu finden in der Vorstellung reichlich spannend wirkt, schafft Marisha Pessl es, dass sowohl Jims Tod als auch die Wahl am Ende eher ein müdes Gähnen beim Leser hervorrufen.
Schade, denn Marisha Pessl hat schon mit Die alltägliche Physik des Unglücks erwiesen, dass sie Schreiben und Geschichten erzählen kann. Doch leider holt sie nicht das aus Niemalswelt raus, was eigentlich da ist und kratzt mit der Geschichte um Bee leider nur an der Oberfläche und bietet dem Leser keinerlei Tiefgang.