Spannend und verstörend, traurig und melancholisch, befriedigend und verwirrend.

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kianu Avatar

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Niemalswelt von Marisha Pessl war eine Neuerscheinung, auf die ich mich wirklich schon seit der Ankündigung gefreut habe – und dementsprechend hoch waren auch meine Erwartungen, als ich vom Wächter höchstpersönlich mein Exemplar puls Einladung zur #Lesewacht erhalten habe.
Denn genau wie die Zeitschleife im Buch hat der Carlsen Verlag am 17. März 2019 einen Lesemarathon von elf Stunden und zwanzig Minuten angesetzt, den man dazu nutzen konnte, um mit vielen anderen Bücherwürmern gemeinsam in diesen Roman abzutauchen.
Für mich eine völlig neue aber auch sehr spannende Erfahrung, da ich “Leserunden“ sonst nur von Erzählungen her kenne.

Und kaum waren die ersten Seiten verschlugen musste ich feststellen, dass ich noch eine weitere Prämiere im Zusammenhang mit diesem Roman feiern konnte, denn an anfänglicher Spannung ist Niemalswelt kaum zu überbieten. Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern jemals so schnell und so intensiv von einer Geschichte vereinnahmt worden zu sein, dass selbst störende Fernsehgeräusche zur Nebensache wurden.
Dazu beigetragen hat in erster Line auf jeden Fall der wunderbare Schreibstil der Autorin selbst. Ihre Wortwahl war auf den Punkt, atmosphärisch perfekt und definitiv einzigartig anders.
In Verbindung mit der Geschichte selbst ein Unikat, dass ich so weder erwartet noch erträumt hatte – und dabei fängt alles recht unspektakulär einfach an.

Vor langer Zeit hatte Beatrice Hartley, kurz Bee, alles, wovon Teenager in ihrem Alter träumen: Eine Familie, die sie liebt und unterstützt, einen Freund, Jim, um den sie oft beneidet wurde und Freunde, mit denen man durch dick und dünn gehen kann. Doch als Jim durch seinen vermeintlichen Selbstmord aus dem Leben scheidet bröckelt der Kitt, der die Gruppe zusammengehalten hat nichts mehr so, wie es einmal war. Bee kommt mit diesem Schicksalsschlag überhaupt nicht zurecht und distanziert sich immer weiter von ihrer Clique – bis sie ein Jahr später eine Einladung für ein gemeinsames Treffen erhält. Kurzentschlossen kehr sie zurück nach Wincroft, einem Anwesen am Meer und der Ort, an dem all die Momente festgehalten sind, die sie und ihre Freunde damals verbunden haben. Doch es ist keine Wiedervereinigung für Bee, denn der einzige Grund, warum sie zurückkehren will ist endlich herauszufinden, was in jener Nacht wirklich geschah, als Jim starb.

Und kaum ist unsere Hauptprotagonistin in Wincroft angekommen, nimmt die Geschichte so richtig an Fahrt und Spannung auf.
Die Dinge laufen aus dem Ruder, aber nicht so wie man es vielleicht von vielen anderen Büchern vorher schon kennen mag, denn hier kommt auch die am Anfang erwähnte Zeitschleife ins Spiel. Mich hat es zu Beginn sehr an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert, nur das hier keine humorvolle, sondern eine ehr düstere Stimmung herrscht. Dazu trägt in jedem Fall der geheimnisvolle Wächter seinen Teil bei, aber auch die anderen, vielschichtigen Charaktere sind hervorragend herausgearbeitet. Man lernt sie hassen und lieben, vertraut ihnen und zweifelt gleich darauf ihre Glaubwürdigkeit an. Sie machen einen blind für das Offensichtliche und überraschen einen immer wieder aufs Neue. Es war schwer, in ihre Köpfe zu blicken, aber genau das hat letztendlich auch den gewissen Reiz für mich ausgemacht.
Auch die Dynamik untereinander macht sie glaubwürdig, real und vor allem lebendig. Sie entwickeln Beziehungen zueinander, die sowohl giftig als auch schön sind und tragen bzw. zerstören sie durch Geheimnisse, Eifersucht und jahrelang aufgestauten Groll.
Verlust, Trauer und der Wille weiterzumachen treiben die Story voran und zeigen jede Menge Facetten der einst so vertrauten Freunde.
Die Autorin macht einen begreiflich, dass man einen Menschen nie in eine Schublade stecken sollte – egal wie lange und gut man sie auch kennen mag. Wir können sie nicht in Kisten packen, denn es gibt vielleicht ein Stück von ihnen, das mit der Zeit verloren gegangen ist.

Zudem versteht es Marisha Pessl wirklich hervorrangen eine Welt zu erschaffen, die so faszinierend und geheimnisvoll ist, dass man am liebsten selbst einmal in die Niemalswelt eintauchen würde – Gefahren hin oder her.
Sie spielt mit ihren Charakteren und deren Ängsten und lässt es zu, dass man mit ihnen leidet und verzweifelt.

Und auch das Ende zeigt, wie viele Gedanken sich die Autorin um dieses Gesamtbild gemacht haben muss – denn es hat sich perfekt und doch so falsch angefühlt.
Ich habe wirklich noch tagelang darüber nachdenken müssen und meine Meinung immer und immer wieder geändert, sowohl im positiven, wie auch im negativen Sinn.

Aber letztendlich kann ich sagen, dass der Schluss ehrlich war.
Denn die Menschen, die uns verändern sind die, denen wir kaum Beachtung schenken. Nicht, bis sie verschwunden sind.