Wenn nichts ist, wie es scheint

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justm. Avatar

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Eine Fahrt durch die Nacht mit einem Fremden. Was kann schon schiefgehen? So oder so ähnlich muß Charlie, die Protagonistin dieses Buches, wohl gedacht haben, als sie in Joshs Auto steigt, um sich von ihm über hunderte Meilen nach Hause fahren zu lassen.
Daß kurz vorher ihre Mitbewohnerin von einem weiterhin frei rumlaufenden Serienmörder umgebracht wurde, spielt für sie nur peripher eine Rolle und steht gleichzeitig doch immer im Vordergrund. Ist doch Maddys Verlust der Grund warum sie überhaupt so schnell nach Hause will.

Diese Diskrepanz im Handeln der Hauptfigur muß man wohl hinnehmen.
Im Verlauf des Buches erfährt man als geneigte*r Leser*in aber nach und nach, warum das - zumindest aus Sicht des Autors - so sein könnte.

Wie eine Zwiebel schält sich hier nach und nach Lage für Lage; nur, daß man nie genau weiß woran man eigentlich ist. Denn Autor Riley Sager hat seine eigene Hauptfigur damit "unglaubwürdig" gemacht, in dem Charlie seit dem Tod ihrer Eltern durch eine Art Dissoziation kurze Filme vor ihrem Auge sieht durch die sie sich aus der Realität, sobald diese zu viel wird, zurückzieht.
So weiß man nie, ob das, was man gerade liest, nun wahr ist oder ob es eines der Filmchen von Charlie ist.

Im Grunde ist das ein cleverer Kniff - auch um die Spannung aufrecht zu halten. Und das klappt, meiner Meinung nach, bis zum Ende ziemlich gut.
Der Schreibstil insgesamt ließ einen flüssigen Lesefluß zu und auch wenn keine der Figuren wirklich dem entsprach, was man von ihnen erwartete, so war das letztendlich nur förderlich für den Gesamteindruck.

Insgesamt sei zu erwähnen, daß das Buch tatsächlich ähnlich wie ein Film oder zumindest wie eine Art Drehbuch aufgebaut ist. Das ergibt auch Sinn, weil Charlie ein absoluter Filmfreak ist. Allerdings sind die vielen Filmanspielungen irgendwann ein bißchen viel. Gerade weil viele so alt sind, daß wohl die wenigsten Leser*innen sie gesehen haben werden.

Und dennoch ist "Night - Nacht der Angst" ein, wenn man die zum Teil doch abwegige Grundprämisse ignorieren kann, gelungener Road-Movie in Buch-Form mit einem Hauch Trauma-Bewältigung, einer Prise Spannung, einem Konglomerat an Figuren, die zum Teil Klischee und zum Teil einfach nur abstrus sind, und insgesamt ganz gute Unterhaltung für ein paar Lesestunden.

Von mir 3,5 Sterne!