Zu abwegig und zu konstruiert

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tokall Avatar

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Den neuen Thriller von Riley Sager zu beurteilen, ist gar nicht so einfach. Denn „Night“ überzeugt durchaus durch eine packende Schreibweise und kann auch immer wieder fesseln. Leider wird dieser positive Eindruck zum Schreibstil aber dadurch wieder zunichte gemacht, dass der Thriller insgesamt zu konstruiert wirkt und auch Logiklöcher aufweist. Im Folgenden möchte ich genauer begründen, was ich damit meine.

So habe ich mich schon zu Beginn gefragt, warum die Protagonistin Charlie zu einem Fremden ins Auto steigt, obwohl ihr bekannt ist, dass der sogenannte Campus-Killer noch frei herumläuft. Sieht man über dieses erste Logikloch hinweg, so wird man auf den folgenden Seiten noch gut unterhalten. Charlie wird dem Leser genauer vorgestellt. Sie ist Studentin der Filmwissenschaften, outet sich als Hitchcock-Fan und kennt sich unheimlich gut mit Filmen aus. Im weiteren Handlungsverlauf gibt es immer wieder Verweise auf bestimmte Filmszenen und auch auf Musik. Das ist gelungen!

Charlie hat ihre Eltern bei einem Unfall verloren und sie muss mit dem schrecklichen Schicksalsschlag umgehen, dass ihre Zimmergenossin Maddie vom Campus-Killer ermordet worden ist. Wohl auch aus diesen Gründen leidet sie unter Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Und die Passagen, an denen man als Leser nicht weiß, ob Charlie halluziniert oder nicht, sind schon gut gemacht. Man wird immer wieder aufs Glatteis geführt und fragt sich während der Lektüre, was Einbildung ist und was echt. Während der Fahrt scheint sich Charlies Zustand zu verschlechtern, auch das überzeugt. Darüber hinaus ist auch die Figurenzeichnung von Charlie für einen Thriller in Ordnung.

Allerdings wird im weiteren Verlauf der Lektüre klar, dass das Krankheitsbild von Charlie ab einem gewissen Punkt wenig realistisch und schon arg klischeehaft gestaltet worden ist. In erster Linie dient es dazu, einen dramatisierenden Effekt zu erzeugen. Darauf konnte ich mich zu Beginn auch bis zu einem gewissen Punkt einlassen, doch mit zunehmendem Handlungsverlauf wird es einfach immer unglaubwürdiger.

Letztlich lebt der Thriller anfangs davon, dass man als Leser nicht weiß, ob und inwieweit man sich auf die Wahrnehmung von Charlie verlassen kann. Man fragt sich zwischenzeitlich, ob sich Charlie womöglich in einen Verfolgungswahn hineinsteigert. Findet das Bedrohungsszenario vielleicht nur in ihrem Kopf statt? Doch leider macht der Autor in meinen Augen zu wenig aus dieser eigentlich guten Idee. Es driftet zu sehr ins Unglaubwürdige ab. Ab einem gewissen Punkt werden Handlungsweisen und Gedankengänge der Figuren unglaubwürdig, nicht plausibel und zudem wenig nachvollziehbar. Es verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dass etwas aus dramatischen Gründen konstruiert wird. So etwas entspricht überhaupt nicht meinem Geschmack.

Fazit: Der Thriller startet durchaus vielversprechend und auch der Schreibstil ist gelungen. Es wird vor allem zu Beginn Spannung erzeugt. Auch die Idee mit Charlies Wahnvorstellungen hat Potential. Es macht Spaß, dass man beim Lesen immer wieder aufs Glatteis geführt wird. Leider wird es dann im weiteren Handlungsverlauf zunehmend unglaubwürdig. Handlungen und Gedanken der Charaktere werden unlogisch und sind nicht mehr plausibel. Das ist schade! Ich vergebe 3 Sterne. Ich würde den Thriller solchen Lesern empfehlen, die das Mittel des unzuverlässigen Erzählens mögen und nicht zu viel Wert auf Realismus und Logik legen.