"Die Sonne, die den Mond am Strick zieht"

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eckenmann Avatar

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Mich hat der Vergleich von "Sonne" Nora und "Mond" James Joyce auf Seite 11 der Leseprobe neugierig gemacht. Wie war sie - die Freundin und erst sehr viel spätere Ehefrau - gar Muse und Inspiration für ihn - den Verfasser des "Ulysseus"?
Ich treffe eine Romanbiographie über das bewegte Leben, Lieben und Leiden von Nora und James ("Jim") Joyce Anfang bis Mitte des vergangenen 20. Jahrhunderts an.
Die irische Autorin beschreibt aus Sicht der Ich-Erzählerin Nora, wie das Paar / die kleine Familie Joyce in einigen Städten West- und Mitteleuropas ihr anfangs karges Leben fristet, wächst, umgeben von Verwandten und Freunden beide Kriegsjahre und die Zwischenzeiten erlebt. Einflußreiche Gönnerinnen und Freunde spielen vor allem ab 1922 einen starken Einfluss. Triest, Paris und Zürich sind wichtige Ankerpunkte.

Es sind tagebuchartig sehr viele kurze Kapitelepisoden gestaltet, anfangs werden Wochen und Monate beschrieben, ab Mitte des Romanes Jahresverläufe.

Nora und ihr Jim sind sich ( größtenteils fernab von Irland ) selbst Heimat - erleben und begehren sich vor allem in jungen und mittleren Jahren heftig. Streit, Eifersucht, Erkrankungen, Alkoholexzesse von "Jim", ärmliche Lebensumstände werden ebenso drastisch, derb und direkt beschrieben wie die körperliche Liebe. Dazwischen funkeln immer wieder poetische Wörter und Wendungen, die sowohl Menschen und ihre Verhaltensweisen beschreiben als auch die Natur und die Atmosphäre der Städte einfangen. Zeitgeist skizzieren. Weltläufe andeuten.

Ich habe jetzt sehr gemischte Gefühle, das Lesen war teilweise sehr anstrengend, dann wieder kurzweilig, ein Wechselbad. Auf der einen Seite ist die Ich-Erzählerin auch sich selbst und Ihren Nächsten und Liebsten gegenüber gnadenlos ehrlich. Sie leidet und hofft und liebt. Ist Rückgrat der Familie um James Joyce. Die hässliche und schmutzige Seite des Lebens finde ich sehr drastisch oft auch abstoßend dargestellt und gezeichnet. Das Sexuelle und Erotische mitunter vulgär überzeichnet. Nora wird als eine liebende und leidende Frau gezeigt, die sich nicht so viel aus der "Wortsuppe" der Erzählungen und Romane ihres Mannes macht, wohl seine Gedichte sehr mag.
Die Bücher an sich und selbst die Bücher von James Joyce spielen nicht so sehr eine tragende Rolle,wie ich erwartet hätte, vielleicht sollte der zweite Teil des Buchtitels "Leiden(schaft). Leben. Lieben." heißen.

Insgesamt empfehle ich diese Romanbiographie etwas einschränkend weiter, eher an besonders literatur(geschichtlich) interessierte Leser:innen; schätze aber auch, wie detailliert und schonungslos Seelenzustände und Stimmungen in familiären Krisensituationen beschrieben werden, ein bewegtes Leben erfasst und eine schwierige und erfüllende Liebesbeziehung aufgezeigt werden.