Mäßige Spannung und irreführende Handlung

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krabbe077 Avatar

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Northern Spy – Die Jagd ist der erste Roman von Flynn Berry, der auf Deutsch verfügbar ist. Im Original bereits 2021 erschienen, wurde er von der Washington Post als einer der besten Thriller des Jahres ausgezeichnet.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der alleinerziehenden Mutter Tessa erzählt, die in Belfast für die BBC arbeitet. Mit ihrem sechs Monate alten Sohn Finn lebt sie alleine in einem Dorf, etwa eine Stunde von der Hauptstadt entfernt. Schon zu Beginn macht die Erzählerin deutlich, dass eine akute Bedrohung durch die IRA (Irish Republican Army) besteht und dass es für sie höchste Priorität hat, Finn davor zu beschützen. Schnell wird jedoch klar, wie schwierig das für sie werden sollte, denn plötzlich erscheint ihre Schwester auf einem Überwachungsvideo, auf dem sie Teil eines bewaffneten Raubüberfalls ist. Tessa verweigert sich zunächst der Erkenntnis, dass ihre Schwester Teil der terroristischen IRA ist und gerät dann mehr oder weniger unfreiwillig zwischen die Fronten.

Wie sich die Handlung zeitlich verorten lässt, bleibt vage. Da die Erzählerin beschreibt, dass ihre Schwester und sie noch Kinder waren, als 1998 das Karfreitagsabkommen unterzeichnet wurde, ist vom Ende der 2010er Jahre auszugehen. Mich als Leser hat das sehr irritiert, da mir die Handlung und die Benennung historischer Ereignisse suggerierten, dass auch der Roman sich am realen Hintergrund der nordirischen Konfliktsituation orientiert. Jedoch wollen Handlung und Realität der späten 2010er Jahre für mich nicht ganz zusammenpassen. Darüber hinaus haben mich manche Einzelheiten in der Beschreibung des Sohnes stutzen lassen. Sein Verhalten und seine Fortschritte im Heranwachsen klingen immer etwas zu alt, gemessen an seinem tatsächlichen Alter. Außerdem plagt sich Tessa an einer Stelle mit Vorwürfen, das stressbedingte Cortisol mache ihre Muttermilch für Finn ungenießbar. Später schüttet sie sich jedoch mit Alkohol zu, um in einer Stresssituation ruhig zu bleiben. Diese Kritik mag sehr kleinlich anmuten. Durch den enormen Raum, den der Sohn im Roman einnimmt, stolpert man jedoch über derlei Unstimmigkeiten. Leider geht dies auch zulasten der Spannung. Ein richtiges Thriller-Feeling kommt nur sehr selten auf.

Northern Spy hatte durchaus starke Momente, insgesamt hat mir der Roman aber nicht gefallen. Zu oft musste ich mich fragen, ob die Autorin an einer Stelle den Faden verloren hat, oder ob ich unaufmerksam gelesen habe bzw. schlecht informiert bin. Eine spannende Handlung wurde leider auch immer wieder durch lange Alltagsschilderungen verhindert.