Stürmische Zeiten

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leseleucht Avatar

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Schon der Titel ist vielversprechend: "Novembersturm", das klingt nach Unruhe, nach Gefahr, nach einem Ereignis, das kein Stein auf dem anderen lässt, das Düsternis, Regenmassen und windgepeitschten leeren Straßen. Die im Haus geblieben sind, werden erfasst von Unruhe und Ungewissheit, was der Sturm wohl bringen mag.
So gestaltet sich auch das Leben der Protagonisten: ein Sturm der Gefühle in einer stürmischen Zeit. Das Leben von Luise und Robert steht vor einem neuen Abschnitt mit ihrer Hochzeit, als der verschollen geglaubte Johannes, Luises Verlobter, plötzlich wieder auftaucht: wie wird es weitergehen?
Aber auch die Zeiten sind stürmisch: Berlin steht am Beginn der goldenen Zwanziger, das alte Vorstellungen von Moral und Anstand, von der Rolle der Frau über den Haufen wirft, aber auch neue politische Ideen und technischen Fortschritt sowie neue Formen in Kunst und Unterhaltung hervorbringt. Wohin wird das alles führen: in eine goldene Zukunft oder den Untergang?
Spannend finde ich die Idee, diese Romankonstellation um den Bau eines historischen Gebäudes, des Bahnhofes Friedrichstraße, ranken zu lassen, das ebenso für Aufbruch und technischen Fortschritt im Allgemeinen und den Beginn einer Karriere als Architekten für Robert und damit gute Aussichten auf eine glückliche Zukunft mit Luise bedeutet.
Von daher finde ich das Cover auch gut komponiert: das Frauenporträt über dem Titel, das Bahnhofsgebäude darunter. Die Frau mit hochgeschlagenem Kragen, die der Leser im Halbprofil von hinten sieht, umgeben von leichten Nebelschwaden scheint den Sturm schon zu erwarten. Sie schaut nur leicht über die Schulter und lässt sich so nicht wirklich in die Karten schauen. Sie umgibt etwas Mysteriöses, das der Leser zu ergründen sucht: wohin wird ihr Weg sie führen? Ist der Bahnhof Ankunftspunkt oder Abfahrtsort ihrer Geschichte?
Fragen, die die Lust darauf wecken, sich auf den Roman einzulassen. Schon in den ersten Kapiteln versinkt der Leser in der Geschichte, die ihm von dem Jahr 1882 zum Jahr 1920 rekonstruiert wird.